Entscheidungsstichwort (Thema)
Bußgeldverfahren. Bußgeldbescheid. Bußgeld. Abbiegen. Linksabbiegen. Unfall. Unfallfolgen. Unfallverursachung. Fußgänger. Fußgängerüberweg. Gefährdung. Personenschaden. Gesundheit. Rechtsbeschwerde. Sachrüge. Rechtsbeschwerdebeschränkung. Rechtsfolgenausspruch. Staatsanwaltschaft. Fahrverbot. Regelfahrverbot. Indizwirkung. Fahrverbotsprivilegierung. Absehen. Ausnahme. Denkzettel. Pflichtverletzung. grob. Rücksicht. Rücksichtnahmegebot. rücksichtslos. Rücksichtslosigkeit. Vollstreckungserleichterung. Vorbewertung. Wechselwirkung. Sanktionspraxis. Gleichbehandlung. Sanktionsmilderungsgrund. Schuld. Schuldvorwurf. Fahrlässigkeit. Obliegenheit. Unaufmerksamkeit. Pflichtenlage. Augenblicksversagen. Baustelle. Baustellenabgrenzung. überobligationsmäßig. Mitverschulden. Wartepflicht. Grünlicht. Nachtatverhalten. Schadensminderungspflicht
Leitsatz (amtlich)
1. Das Absehen von der Verhängung eines Regelfahrverbots, das an die an die Außerachtlassung besonderer Rücksichtnahmepflichten und die bloße Gefährdung eines Verkehrsteilnehmers anknüpft (hier: lfd.Nr. 41 BKat) mit der Begründung, der Betroffene habe nicht rücksichtslos gehandelt und der Geschädigte sei nicht schwerwiegend verletzt worden, ist rechtsfehlerhaft.
2. Das Verhalten eines Betroffenen nach einem von ihm verschuldeten Verkehrsunfall rechtfertigt regelmäßig nicht das Absehen von der Verhängung eines an seinen Verkehrsverstoß anknüpfenden Regelfahrverbots.
Normenkette
StVG § 24 Abs. 3 Nr. 5, § 25 Abs. 1 S. 1, Abs. 2a; StVO § 1 Abs. 2, § 9 Abs. 3 S. 3, § 49; OWiG § 79 Abs. 1 S. 1 Nr. 3, § 80a Abs. 1; StPO § 345 Abs. 2, §§ 353, 354 Abs. 2; BGB § 254; BKatV § 4 Abs. 1 S. 1 Nr. 3, S. 2; RiStBV Nrn. 156, 293; BKat Nr. 41
Verfahrensgang
AG Bayreuth (Entscheidung vom 10.07.2023) |
Tenor
I.
Auf die Rechtsbeschwerde der Staatsanwaltschaft wird das Urteil des Amtsgerichts Bayreuth vom 10.07.2023 im Rechtsfolgenausspruch mit den zugehörigen Feststellungen aufgehoben.
II.
Die Sache wird zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsbeschwerdeverfahrens, an das Amtsgericht Bayreuth zurückverwiesen.
Gründe
I.
Mit Bußgeldbescheid der Zentralen Bußgeldstelle im Bayer. Polizeiverwaltungsamt vom 21.03.2023 wurde gegen die Betroffene wegen eines am 26.01.2023 erfolgten Abbiegens ohne besondere Rücksichtnahme auf Fußgänger, wobei es zu einem Unfall kam, eine Geldbuße in Höhe von 170 Euro und zugleich ein mit einer Anordnung gemäß § 25 Abs. 2a StVG versehenes Fahrverbot für die Dauer von einem Monat festgesetzt. Das Amtsgericht verurteilte die Betroffene zu einer Geldbuße von 170 Euro und sah von der Anordnung eines Fahrverbots ab. Das Amtsgericht führte aus, dass es kein leichtfertiges oder rücksichtsloses Verhalten der Betroffenen feststellen konnte und dem Unfall eine kurzfristige Unaufmerksamkeit der Betroffenen zugrunde gelegen habe. Die Unfallfolgen für die Verletzte (blaue Flecken an den Beinen nach Sturz) seien gering ausgefallen. Dieser läge ein gewisses Mitverschulden zur Last, da sie bei Grünlicht für Fußgänger einfach losgelaufen sei, ohne sich versichert zu haben, dass kein Fahrzeug von rechts komme. Die Betroffene habe Betroffenheit und Reue geäußert. Sie habe, obwohl die Verletzte dies nicht für erforderlich gehalten habe, darauf bestanden, Polizei und Rettungswagen zu rufen.
Gegen diese Entscheidung legte die Staatsanwaltschaft form- und fristgerecht Rechtsbeschwerde ein, mit der sie rügt, dass die Erwägungen des Amtsgerichts das Absehen von der Verhängung eines Fahrverbots nicht rechtfertigen würden.
II.
Die statthafte (§ 79 Abs. 1 Satz 1 Nr. 3 OWiG), auch im Übrigen zulässige und wirksam auf den Rechtsfolgenausspruch beschränkte Rechtsbeschwerde der Staatsanwaltschaft ist begründet und zwingt den Senat zur Aufhebung des angefochtenen Urteils, weil die Erwägungen des Amtsgerichts ein Absehen von dem nach §§ 9 Abs. 3 Satz 3, 1 Abs. 2, 49 StVO, 25 Abs. 1 Satz 1 StVG, § 4 Abs. 1 Satz 1 Nr. 3 BKatV, lfd.Nr. 41 BKat regelmäßig zu verhängenden Fahrverbot von einem Monat nicht rechtfertigen.
1. Die Rechtsbeschwerde der Staatsanwaltschaft ist wirksam auf den Rechtsfolgenausspruch beschränkt, denn nach dem insoweit maßgeblichen Sinn ihrer Rechtsbeschwerdebegründung hat sie den Schuldspruch nicht angefochten.
Die Staatsanwaltschaft hat zwar einen umfassenden Rechtsbeschwerdeantrag gestellt. Hinsichtlich des Angriffsziels eines Rechtsmittels ist jedoch der Sinn der Rechtsmittelbegründung maßgeblich. Für Rechtsbeschwerden der Staatsanwaltschaft sind hierbei die Nrn. 156, 293 Abs. 1 RiStBV in den Blick zu nehmen. Hiernach ist die Staatsanwaltschaft verpflichtet, jedes von ihr eingelegte Rechtsmittel zu begründen. Darüber hinaus soll die Staatsanwaltschaft ihre Revision/Rechtsbeschwerde stets so rechtfertigen, dass klar ersichtlich ist, in welchen Ausführungen des angefochtenen Urteils sie eine Rechtsverletzung erblickt und auf welche Gründe sie ihre Rechtsauffassung stützt (Nrn. 156 Abs. 2, 293 Abs. 1 RiStBV). Dies entspricht a...