Entscheidungsstichwort (Thema)
Bußgeldverfahren. Einzelrichter. Bußgeldsenat. Rechtsfortbildung. Geldbuße. Fahrverbot. Urteil. Rechtsbeschwerde. Sachrüge. Höchstgeschwindigkeit. Geschwindigkeitsüberschreitung. Kraftfahrstraße. Bundesstraße. autobahnähnlich. Kraftfahrzeug. Personenkraftwagen. Pkw. Anhänger. Gespann. Ausbau. baulich. bauartbedingt. Zulassung. Abgrenzung. Trennung. Bordstein. Leitplanke. Bremsvermögen. Fahrbahn. Richtungsfahrbahn. Gegenfahrbahn. Fahrbahnbegrenzung. Fahrstabilität. Fahrzeugkombination. Gegenverkehr. Grünstreifen. Kombination. Schwingungen. Sicherheit. Spurstabilität. Spurtreue. Überfahren. Verkehrssicherheit. Unfallgefahr. Auslegung. Gesetzesauslegung. Ausnahmevorschrift. Wortlaut. Tautologie. systematisch. Normzweck
Leitsatz (amtlich)
Auf Kraftfahrstraßen ohne bauliche Trennung der Richtungsfahrbahnen gilt für Personenkraftwagen mit Anhänger, auch wenn das Gespann die bauartbedingten Anforderungen des § 1 Satz 1 der 9. Ausnahmeverordnung zur StVO erfüllt, gemäß § 3 Abs. 3 Nr. 2 lit. a) bb) StVO eine Höchstgeschwindigkeit von 80 km/h.
Normenkette
StPO § 349 Abs. 2; OWiG § 46 Abs. 1, § 79 Abs. 1 S. 1 Nrn. 1-2; StVG § 25 Abs. 1, § 80a Abs. 3 S. 1, § 25 Abs. 2a; StVO § 3 Abs. 3 Nr. 2, § 18 Abs. 5 S. 2 Nr. 1, § 42 Abs. 2, § 18 Abs. 1; StVOAusnV 9 § 1 S. 1 Zeichen 330.1; StVOAusnV 9 § 1 S. 1 Zeichen 331.1; OWiG § 79 Abs. 3 S. 1
Verfahrensgang
AG Kaufbeuren (Entscheidung vom 27.09.2023) |
Tenor
I. Die Rechtsbeschwerde des Betroffenen gegen das Urteil des Amtsgerichts Kaufbeuren vom 27.09.2023 wird als unbegründet verworfen.
II. Der Betroffene hat die Kosten seines Rechtsmittels zu tragen.
Gründe
I.
Das Amtsgericht Kaufbeuren verurteilte den Betroffenen am 27.09.2023 wegen fahrlässigen Überschreitens der zulässigen Höchstgeschwindigkeit mit einem Kraftfahrzeug mit Anhänger außerhalb geschlossener Ortschaften um 35 km/h zu einer Geldbuße von 255 Euro und zu einem mit der Vollstreckungserleichterung nach § 25 Abs. 2a StVG versehenen Fahrverbot von einem Monat. Das Amtsgericht hat festgestellt, dass der Betroffene am 10.07.2022 mit einem Pkw mit Anhänger auf der Bundesstraße B 12 Richtung München, einer "Kraftfahrstraße ohne bauliche Trennung" der Fahrbahnen, mit einer Geschwindigkeit von 115 km/h unterwegs war. Das Amtsgericht hat es dahinstehen lassen, ob für das Gespann eine bauartbedingte Zulassung für eine Geschwindigkeit bis zu 100 km/h vorlag. Es hat dafürgehalten, dass, unabhängig von einer solchen Zulassung, gemäß §§ 3 Abs. 3 Nr. 2 lit. a) bb), 18 Abs. 5 StVO auf Kraftfahrstraßen ohne bauliche Trennung außerhalb geschlossener Ortschaften eine Höchstgeschwindigkeit von 80 km/h gelte. Mit seiner gegen dieses Urteil gerichteten Rechtsbeschwerde rügt der Betroffene die Verletzung materiellen Rechts. Die Generalstaatsanwaltschaft München hat mit Stellungnahme vom 20.12.2023 beantragt, die Rechtsbeschwerde des Betroffenen als unbegründet kostenpflichtig zu verwerfen.
Der Einzelrichter hat mit Beschluss vom 09.02.2024 die Sache zur Fortbildung des Rechts dem Bußgeldsenat in der Besetzung mit drei Richtern übertragen.
II.
Die Nachprüfung des Urteils aufgrund der gemäß § 79 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 und Nr. 2 OWiG statthaften, auch im Übrigen zulässigen und allein auf die Verletzung materiellen Rechts gestützten Rechtsbeschwerde des Betroffenen hat aus den Gründen der Stellungnahme der Generalstaatsanwaltschaft München in ihrer Antragsschrift vom 20.12.2023 keinen Rechtsfehler zum Nachteil des Betroffenen ergeben (§ 349 Abs. 2 StPO i.V.m. § 79 Abs. 3 Satz 1 OWiG).
Einer ergänzenden Erörterung bedarf aus Sicht des Senats das Folgende:
Es ist - soweit ersichtlich - bislang obergerichtlich nicht geklärt, ob § 1 Satz 1 Nr. 1 der 9. Ausnahmeverordnung zur StVO für die dort bezeichneten Fahrzeuge auch dann gilt, wenn eine Kraftfahrstraße zwar durch Zeichen 331.1 der Anlage 3 zur StVO gekennzeichnet ist, aber über keine bauliche Trennung verfügt.
Die Rechtsansicht des Amtsgerichts, wonach - unabhängig von der bauartbedingten Zulassung des Gespanns für eine höhere Geschwindigkeit - auf Kraftfahrstraßen ohne bauliche Trennung der Richtungsfahrbahnen eine Höchstgeschwindigkeit von 80 km/h gelte, hält der rechtlichen Nachprüfung stand.
§ 1 Satz 1 der 9. Ausnahmeverordnung zur StVO bestimmt, dass abweichend von § 18 Abs. 5 Nr. 1 StVO (gemeint ist offensichtlich: § 18 Abs. 5 Satz 2 Nr. 1 StVO = Anm. d. Senats), wonach die zulässige Höchstgeschwindigkeit 80 km/h beträgt, auf Autobahnen (Zeichen 330.1) und Kraftfahrstraßen (Zeichen 331.1) die zulässige Höchstgeschwindigkeit auf 100 km/h erweitert wird, sofern die Kombination aus Pkw und Anhänger bestimmte, in der Ausnahmeverordnung näher definierte technische Voraussetzungen erfüllt.
1. Bereits der Wortlaut des § 1 Satz 1 der 9. Ausnahmeverordnung zur StVO spricht durch die Verwendung der Formulierung "abweichend von § 18 Abs. 5 Nr. 1 StVO" dafür, dass es sich insoweit um eine Ausnahmevorschrift von § 18 Abs. 5 Satz 2 Nr. 1 StVO handelt, der auf Autobahnen und autobahnähnlich...