Leitsatz (amtlich)
1. Einem Bieter steht auch dann die Antragsbefugnis zu, wenn er bei der rechtswidrigen Ausschreibung eines Leitfabrikates zwar in der Lage wäre, dieses zu liefern, er aber daran gehindert wird, ein wirtschaftlicheres Konkurrenzprodukt anzubieten.
2. § 9 Nr. 5 Abs. 2 VOB/A hat bieterschützende Funktion.
3. Legt ein Bieter vom Auftraggeber geforderte Prüfzeugnisse, welche offensichtlich für den Auftrag keine Bedeutung haben, nicht vor, darf sein Angebot nicht wegen Unvollständigkeit ausgeschlossen werden.
Verfahrensgang
Vergabekammer Südbayern (Beschluss vom 17.12.2003; Aktenzeichen 120.3-3194.1-58-11/03) |
Tenor
I. Es wird festgestellt, dass die Antragstellerin durch die. Ausschreibung eines Leitfabrikats (Dachabdichtung Plastotex) in ihren Rechten verletzt worden ist.
II. Der Beschluss der Vergabekammer Südbayern vom 17.12.2003 wird in Ziff. 1 bis 3) aufgehoben.
III. Die Kosten des Verfahrens trägt die Antragsgegnerin. Die Hinzuziehung eines Bevollmächtigten durch die Antragstellerin im Nachprüfungsverfahren wird für notwendig erklärt.
IV. Der Geschäftswert für das Beschwerdeverfahren wird auf 20.031,49 Euro festgesetzt.
Gründe
I. Die Antragsgegnerin schrieb Europaweit im Offenen Verfahren für das Projekt Neubau einer Grundschule verschiedene Dacharbeiten aus, darunter auch das Gewerk LV 105 Dachabdichtungs- und Spenglerarbeiten. Die Leistung war in der Bekanntmachung folgendermaßen beschrieben:
"1. Lage Plastomerbitumen-Dachabdichtungsbahn (auch als Notdach) - 3.800 m2
2. Lage Plastomerbitumen-Dachabdichtungsbahn (beschiefert) -2060 m2
2. Lage Plastomerbitumen-Dachabdichtungsbahn (wurzelfest) - 1740 m2 ..."
Das Leistungsverzeichnis enthielt "Zusätzliche Technische Vertragsbedingungen - Dachabdichtungsarbeiten, ZTV", in welchen auf folgende Punkte hingewiesen wurde:
"1. Allgemein: - Gemäß der Länderbauordnung Art. 31 BayObLG muss die Bedachung widerstandsfähig gegen Flugfeuer und strahlende Wärme nach DIN 4102 Teil 7 sein (harte Bedachung). Das Prüfzeugnis harte Bedachung ist für den im LV beschriebenen Dachaufbau dem Angebot beizulegen. Angebote ohne gültige Prüfzeugnisse können nicht gewertet werden.
2. Stoffe und Bauteile: - Es ist dem Bieter freigestellt, ein Fabrikat seiner Wahl mit folgender Einschränkung anzubieten: Es muss dem ausgeschriebenen Material gleichwertig sein und durch Muster und Prüfzeugnisse belegt werden-."
Nach der Beschreibung im Leistungsverzeichnis auf Seite 43 waren sämtliche Flachdächer mit einer Dachneigung von ca. 1 % mit zwei vollflächig verschweißten und je 5 mm dicken Plastomerbitumenbahnen PYP-PV 200 S5 abzudichten, wobei die erste Lage als Notdach fungieren sollte. Die Fertigstellung des Dachaufbaus sollte zu einem späteren Zeitpunkt erfolgen. Beim Zwischenbau, dem Geräteraum bei den Freisportflächen und den erdüberdeckten Bereichen bei der Turnhalle und der Mittagsbetreuung sollte als zweite Lage eine wurzelfeste Abdichtungsbahn eingebaut werden, da hier eine Begrünung vorgesehen war. Die zu begrünenden Flächen betrugen 1.740 m2, die anderen Dachflächen, die eine Auflast von Rundkornkies 16/32 (Dicke mindestens 50 mm) und zusätzlich zum Teil Platten tragen sollten, 2.060 m2. Alle zu dämmenden Dächer sollten ein "Umkehrdach" mit diffusionsoffener Spezialtrennlage auf den Dämmplatten erhalten. Der Ausschreibung waren das Dachabdichtungssystem Plastotex und das Dachdämmungssystem Dow-Roofmate zugrunde gelegt worden. Vergleichbare Dachabdichtungs- und Dämmungssysteme anderer Hersteller sollten nur als komplettes System zulässig sein, wenn mit Angebotsabgabe ein Nachweis der Gleichwertigkeit beigefügt wurde. Für den Nachweis der Gleichwertigkeit forderte das Leistungsverzeichnis bei der Dachabdichtung zehn verschiedene Nachweise bzw. Prüfzeugnisse, darunter auch ein gültiges Prüfzeugnis nach DIN 4102 Teil 7, für zwei Lagen Plastotex auf Betonuntergrund, und bei der Dachdämmung vier verschiedene Nachweise.
Die Antragstellerin bot als Produkt für die Dachabdichtung nicht das Leitfabrikat Plastotex, sondern das Fabrikat General Corona Super an; für die Dachdämmung folgte sie dem Leitfabrikat DOW-Roofmate. Mit Abgabe des Angebots am 23.9.2003 rügte die Antragstellerin mit Schreiben vom 22.9.2003, die Anforderungen zum Nachweis der Gleichwertigkeit stellten in weiten Teilen eine unzulässige Wettbewerbseinschränkung dar, weil völlig irrelevante Prüfzeugnisse abgefordert würden. Das eigene angebotene Produkt liege weit über den Anforderungen der ausgeschriebenen Leitfabrikate. Als Nachweis wurden das Prüfzeugnis 16-2430a - DIN 4102 Teil 7 - eines Instituts, den Untersuchungsbericht TC 51111/02 für einlagige Abdichtungen sowie ein allgemeines bauaufsichtliches Prüfzeugnis einer Universität P - 51060a/99 samt dazugehörigem Untersuchungsbericht beigefügt. Das Prüfzeugnis war für die Polymerbitumen-Schweißbahn Corona Super VPV 250 S5 Schiefer auf EPS-Dämmschicht bei 15 % Dachneigung und auf einer Stahltrapezprofiltafel ausgestellt. Der Untersuchungsbericht der TU M. bestätigte der Pol...