Entscheidungsstichwort (Thema)
Betreuungsrecht
Leitsatz (amtlich)
1. Ein Betreuer darf nur bestellt werden, wenn und solange der damit nicht einverstandene Betroffene seinen Willen aufgrund einer psychischen Krankheit oder einer geistigen oder seelischen Behinderung nicht frei bestimmen kann. Dies gilt auch bei schubförmig verlaufenden Krankheiten.
2. Bei schubförmig verlaufenden psychischen Krankheiten muß die Überprüfungsfrist unter Berücksichtigung des bisherigen Verlaufs der Krankheit festgelegt werden. Der Betreuer unterliegt erhöhten Mitteilungspflichten nach § 1901 Abs. 4 Satz 1 BGB (Fortführung von BayObLGZ 1994, 209).
Normenkette
BGB §§ 1896, 1901 Abs. 4 S. 1; FGG § 69 Abs. 1 Nr. 5
Verfahrensgang
LG München I (Beschluss vom 19.11.1993; Aktenzeichen 13 T 21337/93) |
AG München (Beschluss vom 22.07.1993; Aktenzeichen 703 XVII 120/93) |
Tenor
I. Die Beschlüsse des Amtsgerichts München vom 22. Juli 1993 und des Landgerichts München I vom 19. November 1993 werden aufgehoben.
II. Das Betreuungsverfahren wird eingestellt.
Tatbestand
I.
Die Betroffene leidet an einer schubförmig verlaufenden Psychose aus dem schizophrenen Formenkreis. Sie mußte deshalb in den Jahren 1977, 1985 und 1993 in einem Nervenkrankenhaus untergebracht werden. Im Jahre 1985 unternahm sie einen Selbstmordversuch; davon sind schwerwiegende neurologische Ausfälle verblieben. Es besteht seither die Symptomatik einer Querschnittslähmung des Rückenmarks mit kompletter Lähmung beider Beine, so daß die Betroffene auf den Gebrauch eines Rollstuhls angewiesen ist.
Mit Beschluß vom 22.7.1993 bestellte ihr das Amtsgericht gegen ihren Willen eine Rechtsanwältin zur Betreuerin mit den Aufgabenkreisen Sorge für die Gesundheit der Betroffenen einschließlich der Entscheidung über eine Freiheitsentziehung und freiheitsentziehende Maßnahmen. Die Beschwerde der Betroffenen hiergegen wies das Landgericht mit Beschluß vom 19.11.1993 zurück. Hiergegen richtet sich die weitere Beschwerde der Betroffenen, der mit Beschluß des Senats vom 23.6.1994 Prozeßkostenhilfe bewilligt wurde.
Entscheidungsgründe
II.
1. Dem Antrag der Betroffenen auf Beiordnung eines anderen, nicht bekannten, Rechtsanwalts kann nicht stattgegeben werden. Dies wäre nur möglich, wenn wichtige Gründe hierfür vorliegen. Zudem ist der beigeordnete Anwalt bereits für die Betroffene tätig geworden. Sein Vortrag hat zum Erfolg der weiteren Beschwerde beigetragen.
2. Das Landgericht hat ausgeführt, die Voraussetzungen für die Bestellung eines Betreuers gemäß § 1896 BGB mit den vom Amtsgericht bezeichneten Aufgabenkreisen lägen vor. Nach den Gutachten der Sachverständigen läge bei der Betroffenen eine psychische Erkrankung im Sinn von § 1896 BGB vor. Beide Sachverständige seien zum Ergebnis gekommen, daß die Betroffene krankheitsbedingt außer Stande sei, ihre Angelegenheiten in den genannten Aufgabenkreisen selbst zu regeln.
Da die Betroffene nach den beiden Sachverständigengutachten keine Krankheitseinsicht und keine Behandlungsbereitschaft zeige, sei es notwendig, ihr für den Bereich der Gesundheitsfürsorge einen Betreuer zu bestellen. Selbst wenn derzeit kein akuter Handlungsbedarf für die Entscheidung über freiheitsentziehende, freiheitsbeschränkende Maßnahmen bestünde, sei es dennoch erforderlich, die Entscheidung hierüber einem Betreuer zu übertragen. Nach den Feststellungen der Sachverständigen läge nämlich bei der Betroffenen eine schubförmig verlaufende produktive Psychose vor, bei der in letzter Zeit immer wieder gravierende psychopathologische Ausfälle schizophrener Prägung zur Entwicklung gelangt seien, die eine stationäre Behandlung in einer geschlossenen Abteilung eines psychiatrischen Krankenhauses erforderlich gemacht hätten. Wenn im Fall eines akuten Schubs der Aufgabenkreis erst auf freiheitsentziehende Maßnahmen erweitert werden müßte, bestünde eine erhebliche Gefahr für die Gesundheit der Betreuten. Die Voraussetzungen für eine Betreuerbestellung lägen deshalb auch insoweit vor.
3. Diese Ausführungen halten der rechtlichen Nachprüfung (§ 27 Abs. 1 Satz 2 FGG, § 550 ZPO) nicht stand. Die vom Landgericht getroffenen tatsächlichen Feststellungen reichen nicht aus, um die Entscheidung über die Bestellung eines Betreuers zu tragen.
Kann ein Volljähriger aufgrund einer psychischen Krankheit oder einer körperlichen, geistigen oder seelischen Behinderung seine Angelegenheiten ganz oder teilweise nicht besorgen, so bestellt das Vormundschaftsgericht auf seinen Antrag oder von Amts wegen für ihn einen Betreuer (§ 1896 Abs. 1 Satz 1 BGB). Die Bestellung eines Betreuers von Amts wegen, also ohne Antrag des Volljährigen und gegen seinen Willen, setzt aber voraus, daß der Betreute aufgrund einer psychischen Erkrankung seinen Willen nicht frei bestimmen kann. Dies sagt das Gesetz zwar nicht ausdrücklich, ergibt sich aber aus einer verfassungskonformen Auslegung (BayObLGZ 1994, 209/211 m.w.Nachw.; BayObLG BtPrax 1994, 59 = FamRZ 1994, 720).
Diese Grundsätze gelten auch für Fälle schubförmig verlaufender psychi...