Leitsatz (amtlich)
›Das Berufungsurteil, mit dem die Sache an die Große Strafkammer verwiesen wird, weil die Unterbringung des Angeklagten in einem psychiatrischen Krankenhaus in Betracht komme, muß aufzeigen, daß die Voraussetzungen des § 63 StGB bei vorläufiger Bewertung mit Wahrscheinlichkeit erfüllt sind.‹
Tatbestand
Das Amtsgericht - Schöffengericht - verurteilte den Angeklagten wegen sexueller Nötigung mit gefährlicher Körperverletzung und wegen Diebstahls zur Gesamtfreiheitsstrafe von zwei Jahren und vier Monaten. Auf die Berufungen des Angeklagten und der Staatsanwaltschaft hob das Landgericht dieses Urteil auf und verwies das Verfahren an die Große Strafkammer des Landgerichts.
Mit der Revision rügte der Angeklagte das Verfahren und die Verletzung sachlichen Rechts. Das Rechtsmittel hatte vorläufigen Erfolg.
Entscheidungsgründe
Das nach § 333 StPO statthafte (BGHSt 26, 106; Kleinknecht/Meyer-Goßner StPO 44. Aufl. § 328 Rn. 14, § 333 Rn. 1 m.w.N.) und im übrigen zulässige Rechtsmittel (zur Frage der Beschwer des Angeklagten vgl. BGH aaO; BayObLGSt 1977, 143) führt zumindest vorläufig zum Erfolg. Die Feststellungen und Erwägungen des Landgerichts tragen die getroffene Entscheidung nicht; im angefochtenen Urteil ist schon nicht schlüssig dargelegt, daß die Voraussetzungen für eine Verweisung der Sache an die Große Strafkammer des Landgerichts als Gericht erster Instanz erfüllt wären.
Richtig ist zwar der Ausgangspunkt des Berufungsgerichts, daß es - da seine sachliche Zuständigkeit nicht weiter geht als die des ersten Tatrichters (Kleinknecht/Meyer-Goßner § 328 Rn. 9, § 6 Rn. 4) - für die Anordnung der Unterbringung des Angeklagten in einem psychiatrischen Krankenhaus nach § 63 StGB nicht zuständig wäre (§ 24 Abs. 2 GVG) und daß es die Sache deshalb, falls eine solche Anordnung in Betracht kommt, an die Große Strafkammer verweisen müßte. Die Urteilsgründe ergeben aber nicht, daß die Voraussetzungen für die Unterbringung des Angeklagten in einem psychiatrischen Krankenhaus wahrscheinlich erfüllt sind; es fehlt an der Feststellung der materiell-rechtlichen Voraussetzungen für die Verweisung.
Die Kleine Strafkammer ist an einer Sachentscheidung dann gehindert, wenn die von ihr ermittelten neuen Tatsachen eine vom Eröffnungsbeschluß abweichende rechtliche Beurteilung ergeben und wenn daher aus ihrer Sicht das Erstgericht objektiv seine Zuständigkeit zu Unrecht angenommen hat; die Verweisung der Sache an ein höheres Gericht zur Aburteilung wegen einer schwereren Straftat setzt insoweit hinreichenden Tatverdacht voraus (BayObLGSt aa0 = JR 1978, 475/477 mit zustimmender Anmerkung Gollwitzer; Kleinknecht/Meyer-Goßner § 328 Rn. 7 a.E.; zum ähnlich liegenden Fall der Verweisung der Sache nach § 270 StPO durch das Erstgericht vgl. Kleinknecht/Meyer-Goßner § 270 Rn. 9 m.w.N.). Die Verurteilung wegen der schwereren Straftat muß also bei vorläufiger Bewertung mit Wahrscheinlichkeit zu erwarten sein (vgl. Kleinknecht/Meyer-Goßner § 170 Rn. 1, § 203 Rn. 2 m.w.N.).
Zwar geht es hier nicht darum, daß die Verurteilung wegen einer die Zuständigkeit eines höheren Gerichts begründenden Straftat zu erwarten ist. Es besteht aber keine Rechtfertigung dafür, im vorliegenden Fall, in dem eine Verweisung wegen fehlender Rechtsfolgenkompetenz in Betracht kommt, an die Grundlagen der Entscheidung geringere Anforderungen zu stellen. Denn hier wie dort geht es letztlich um den Anspruch des Angeklagten auf den gesetzlichen Richter (Art. 101 Abs. 1 Satz 2 GG). Damit setzt die Verweisung nach § 328 Abs. 2 StPO hier voraus, daß die Anordnung der Unterbringung des Angeklagten in einem psychiatrischen Krankenhaus nach § 63 StGB mit Wahrscheinlichkeit zu erwarten ist. Dies muß in dem die Verweisung aussprechenden Urteil in einer die Nachprüfung auf Rechtsfehler ermöglichenden Weise aufgezeigt werden (vgl. BayObLG aaO; Gollwitzer S. 477).
Diesen Anforderungen genügt das angefochtene Urteil nicht. Zwar unterliegt die tatrichterliche Entscheidung, ob ein hinreichender Tatverdacht gegeben ist, nicht der Nachprüfung des Revisionsgerichts. Dessen Prüfung hat sich nach § 337 StPO aber darauf zu erstrecken, ob die den hinreichenden Tatverdacht bejahende Entscheidung des Berufungsgerichts frei ist von Rechtsfehlern (BayObLGSt 1977, 143/145 m.w.N.). Aus Rechtsgründen kommt die Aufhebung des Verweisungsurteils insbesondere dann in Betracht, wenn die vom Berufungsgericht getroffenen Feststellungen den Tatbestand der Straftat, für deren Aburteilung ein Gericht höherer Ordnung zuständig ist, überhaupt nicht erfüllen (BayObLG aaO). Ein vergleichbarer Fall liegt hier vor.
Dem Urteil ist nicht zu entnehmen, daß die Voraussetzungen des § 63 StGB wahrscheinlich erfüllt sind. Die Anordnung der Unterbringung des Angeklagten in einem psychiatrischen Krankenhaus nach dieser Vorschrift setzt zunächst voraus, daß er eine rechtswidrige Tat im Zustand der Schuldunfähigkeit oder der verminderten Schuldfähigkeit begangen hat. Schon insoweit sind die Darlegungen des Landgerich...