Leitsatz (amtlich)

Eine vorläufige Unterbringung setzt voraus, dass konkrete Umstände mit erheblicher Wahrscheinlichkeit darauf hindeuten, dass die sachlichen Voraussetzungen für eine Unterbringung vorliegen. Ferner müssen konkrete Tatsachen nahe legen, dass mit dem Aufschub der Unterbringung Gefahren für die öffentliche Sicherheit und Ordnung verbunden wären.

 

Verfahrensgang

LG Deggendorf (Beschluss vom 08.07.2004; Aktenzeichen 1 T 73/04)

AG Deggendorf (Beschluss vom 18.12.2003; Aktenzeichen XIV 0445/03 L)

 

Tenor

I. Der Beschluss des LG Deggendorf vom 8.7.2004 wird aufgehoben.

II. Es wird festgestellt, dass die Anordnung der vorläufigen Unterbringung des Betroffenen durch Beschluss des AG Deggendorf vom 18.12.2003 rechtswidrig war.

III. Die zur zweckentsprechenden Rechtsverfolgung notwendigen Auslagen des Betroffenen werden dem Landkreis auferlegt.

IV. Der Geschäftswert des Verfahrens der weiteren Beschwerde wird auf 3.000 Euro festgesetzt.

 

Gründe

I. Der Betroffene wurde auf Anordnung des Landratsamts vom 17.12.2003 am gleichen Tag vorläufig in einer psychiatrischen Klinik untergebracht. Das Gesundheitsamt des Landratsamts hatte am 18.9.2003 ein Schreiben von fünf Familien aus der Nachbarschaft des Betroffenen vom 11.9.2003 erhalten, in dem diese ihn überwiegend verbaler Aggressionen gegen ihre Kinder im Alter zwischen drei und elf Jahren beschuldigten. Nachdem der Betroffene Vorladungen des Gesundheitsamts zu einer Untersuchung keine Folge geleistet hatte und bei einem angekündigten Hausbesuch eines vom Gesundheitsamt beauftragten Facharztes für Neurologie, Psychiatrie und Psychotherapie am 12.11.2003 nicht anzutreffen war, wurde er am 17.12.2003 dem Gesundheitsamt polizeilich vorgeführt.

Beim gerichtlichen Anhörungstermin am 18.12.2003 bestritt der Betroffene ebenso wie schon bei der amtsärztlichen Untersuchung vom Vortag die Vorwürfe aus dem Schreiben vom 11.9.2003. Er schilderte seinerseits Belästigungen und Bedrohungen durch die Nachbarskinder bzw. deren Eltern. Das AG bestätigte mit sofort wirksamem Beschluss vom 18.12.2003 durch einstweilige Anordnung die vorläufige Unterbringung bis spätestens 23.12.2003. Am 22.12.2003 wurde der Betroffene um 13.15 Uhr aus der psychiatrischen Klinik entlassen.

Mit anwaltlichem Schriftsatz vom 1.6.2004 beantragte der Betroffene im Wege der Beschwerde festzustellen, dass die vorläufige Unterbringung in der geschlossenen Abteilung der psychiatrischen Klinik rechtswidrig war.

Mit Beschluss vom 8.7.2004 wies das Beschwerdegericht den Antrag zurück. Hiergegen richtet sich die sofortige weitere Beschwerde des Betroffenen vom 27.7.2004. Der Betroffene beantragt, den Beschluss des Beschwerdegerichts vom 8.7.2004 aufzuheben und festzustellen, dass die vorläufige Unterbringung vom 17.12.2003 bis 22.12.2003 in der geschlossenen Abteilung des psychiatrischen Krankenhauses rechtswidrig gewesen ist.

II. Das zulässige Rechtsmittel ist begründet. Die vorläufige Unterbringung war rechtswidrig, da ihre Voraussetzungen zu keinem Zeitpunkt vorlagen.

1. Das form- und fristgerecht eingelegte Rechtsmittel (§ 29 Abs. 1 S. 1, 2, Abs. 2, 4; § 70m Abs. 1; § 70g Abs. 3 S. 1; § 22 Abs. 1 FGG) mit dem Ziel, die Rechtswidrigkeit der angeordneten vorläufigen Unterbringung festzustellen, ist auch im Übrigen zulässig.

a) Zwar hat sich bereits vor Einlegung der sofortigen Beschwerde die Hauptsache dadurch erledigt, dass der Betroffene aus dem Bezirkskrankenhaus entlassen worden ist. Dennoch fehlt der sofortigen Beschwerde nicht das Rechtsschutzbedürfnis (BayObLGZ 2002, 304 [306]). Die in Art. 19 Abs. 4 GG verbürgte Effektivität des Rechtsschutzes gebietet es in Fällen, in denen der durch die geschlossene Unterbringung bewirkte tief greifende Eingriff in das Grundrecht der Freiheit beendet ist, die Schutzwürdigkeit des Interesses des Betroffenen an der Feststellung der Rechtswidrigkeit dieses Grundrechtseingriffs zu bejahen (BVerfG v. 5.12.2001 - 2 BvR 527/99, NJW 2002, 2456; Demharter, FGPrax 2002, 137 [138]). Ob hiervon im Einzelfall Ausnahmen gerechtfertigt sein können, bedarf keiner weiteren Erörterung, da im vorliegenden Fall einer kurzzeitigen Freiheitsentziehung bereits nach den Grundsätzen der Rechtsprechung (BVerfG v. 10.5.1998 - 2 BvR 978/97, NJW 1998, 2432; BayObLG v. 20.7.2001 - 3 Z BR 69/01, NJW 2002, 146, m.w.N.) der Fortbestand des Rechtsschutzbedürfnisses in jedem Fall zu bejahen ist.

b) Gegenstand der Rechtswidrigkeitsfeststellung durch den Senat ist die Frage, ob die ursprüngliche Anordnung der öffentlich-rechtlichen Unterbringung durch das VormG zu Recht erfolgt ist.

Die Rechtswidrigkeitsfeststellung kann sich im Grundsatz sowohl auf die ursprüngliche Anordnung der öffentlich-rechtlichen Unterbringung als auch deren Fortbestand für den Zeitraum der Durchführung der Unterbringung bis zum Eintritt des erledigenden Ereignisses beziehen. Der Betroffene legt durch seinen Antrag fest, in welchem Umfang er die Rechtswidrigkeit überprüft sehen möchte (BayObLGZ 2002, 304 [310], BayObLG, Beschl. v. 14.10.20...

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