Leitsatz (amtlich)
I. Eine anstaltsinterne Verlegung stellt eine gerichtlich überprüfbare Maßnahme im Sinne des § 109 Abs. 1 Satz 1 StVollzG dar, die auf die Lebensverhältnisse des Gefangenen und seine aufgebauten sozialen Kontakte einwirken kann und geeignet ist, ihn in seinen Persönlichkeitsrechten zu verletzen.
II. Ein Gefangener hat grundsätzlich keinen Anspruch auf Zuweisung eines bestimmten Haftraums oder darauf, dass er sich bestimmte Ausstattungsmerkmale des Haftraums bzw. einen bestimmten Mitinsassen aussuchen darf; die Vollzugsbehörde kann allein nach ihrem pflichtgemäßen Ermessen entscheiden.
III. Dieses Ermessen kann gegenüber dem Gefangenen dann eingeschränkt sein, wenn ihm bislang günstigere Vollzugsbedingungen zuteil geworden sind. In einem solchen Fall stellt die Herausnahme aus dem bisherigen günstigeren Bereich die Rücknahme eines begünstigenden Verwaltungsaktes dar, der nur unter den Voraussetzungen des entsprechend anzuwendenden § 14 Abs. 2 Satz 2 StVollzG (bzw. Art. 16 Abs. 2 Satz 2 BayStVollzG) zurückgenommen werden darf.
Normenkette
GG Art. 2 Abs. 1; StVollzG § 8 Abs. 1-2, § 14 Abs. 2 S. 2, § 109 Abs. 1 S. 1; BayStVollzG Art. 10 Abs. 1-2, Art. 16 Abs. 2 S. 2
Verfahrensgang
LG Augsburg (Entscheidung vom 23.04.2024; Aktenzeichen 2 LL StVK 8/24) |
Tenor
1. Die Rechtsbeschwerde des Strafgefangenen Z. gegen den Beschluss der auswärtigen Strafvollstreckungskammer des Landgerichts Augsburg bei dem Amtsgericht Landsberg am Lech vom 23. April 2024 wird auf seine Kosten einstimmig als offensichtlich unbegründet verworfen.
2. Der Gegenstandswert für das Rechtsbeschwerdeverfahren wird auf 500 € festgesetzt.
3. Der Antrag auf Bewilligung von Prozesskostenhilfe für das Rechtsbeschwerdeverfahren und auf Beiordnung eines Rechtsanwalts wird zurückgewiesen.
Gründe
I.
Mit Antrag auf gerichtliche Entscheidung vom 15. Dezember 2024 - ergänzt durch Schreiben vom 1. Januar 2024 - begehrte der Strafgefangene die Feststellung der Rechtswidrigkeit der Anordnung seiner Verlegung in einen anderen Haftraum der Justizvollzugsanstalt Landsberg am Lech sowie die Feststellung der Rechtswidrigkeit der Anordnung von unmittelbarem Zwang zur Durchsetzung dieser Verlegung.
Die auswärtige Strafvollstreckungskammer des Landgerichts Augsburg bei dem Amtsgericht Landsberg am Lech hat diesen Antrag mit Beschluss vom 23. April 2024 als unbegründet zurückgewiesen.
Gegen diesen ihm am 25. April 2024 zugestellten Beschluss hat der Strafgefangene zur Niederschrift der auswärtigen Strafvollstreckungskammer des Landgerichts Augsburg bei dem Amtsgericht Landsberg am Lech am 22. Mai 2024 Rechtsbeschwerde eingelegt, mit der er mit der Rüge der Verletzung materiellen und formellen Rechts die Aufhebung des Beschlusses, die Entscheidung nach seinen Anträgen und die Bewilligung von Prozesskostenhilfe unter Beiordnung von Rechtsanwalt Dr. G. beantragt.
Die Generalstaatsanwaltschaft München beantragt im Schreiben vom 3. Juni 2024, die Rechtsbeschwerde des Strafgefangenen als unzulässig zu verwerfen.
Hierzu nahm der Beschwerdeführer mit Anmerkungen vom 13. Juni 2024 auf dem Zuleitungsschreiben des Senats vom 11. Juni 2024 Stellung.
II.
1. Die form- und fristgerecht eingelegte Rechtsbeschwerde ist auch sonst zulässig, da die Anordnung und Anwendung unmittelbaren Zwangs zur Durchsetzung der Verlegung eines Gefangenen in einen anderen Haftraum wegen der diskriminierenden Auswirkungen einen erheblichen Eingriff in sein Grundrecht aus Art. 2 Abs. 1 GG haben kann (vgl. hierzu OLG Celle, Beschluss vom 24. April 1985 - 3 Ws 63/85 -, NStZ 1985, 480).
2. Der Antrag auf gerichtliche Entscheidung ist, wovon auch die Strafvollstreckungskammer zutreffend ausgegangen ist, zulässig, da die anstaltsinterne Verlegung des Antragstellers eine Maßnahme im Sinne des § 109 Abs. 1 Satz 1 StVollzG darstellt. Die Verlegung eines Gefangenen in einen anderen Haftraum oder eine andere Abteilung innerhalb einer Anstalt ist, anders als die externe Verlegung bzw. Überstellung (vgl. hierzu Art. 10 BayStVollzG), gesetzlich nicht geregelt. Sie ist aber, da sie für den Gefangenen eine belastende Maßnahme darstellen kann (vgl. BVerfG, Kammerbeschluss vom 29. Mai 2015 - 2 BvR 869/15 -, NStZ-RR 2015, 355, juris Rn. 16), gerichtlich überprüfbar (vgl. OLG Hamm, Beschluss vom 8. August 1989 - 1 Vollz (Ws) 82/89 -, NStZ 1989, 592; so zur Doppelbelegung eines Haftraums auch KG, Beschluss vom 29. Februar 2008 - 2 Ws 529/07 Vollz -, StV 2008, 366, juris Rn. 12 f.). Denn sowohl die Verlegung von der bisherigen Abteilung in eine andere Abteilung derselben Anstalt als auch die Verlegung von dem bislang zugewiesenen Haftraum in einen anderen Haftraum können als Realakte Maßnahmen im Sinne von § 109 StVollzG darstellen, die auf die Lebensverhältnisse des Gefangenen und seine aufgebauten sozialen Kontakte einwirken (vgl. OLG Celle, Beschluss vom 6. April 2017 - 3 Ws 156/17 (StrVollz) -, juris Rn. 9 m.w.N.) und geeignet sind, ihn in seinen Persönlichkeitsrechten zu verletzen (vgl. OLG Hamm, Beschluss vom 8. August...