Entscheidungsstichwort (Thema)
Erbvertrag
Leitsatz (redaktionell)
Bei einem Erbvertrag muß bei der Auslegung einer vertragsmäßigen Verfügung der übereinstimmende Wille der Vertragsparteien ermittelt werden; gegebenenfalls ist § 157 BGB heranzuziehen.
Normenkette
BGB §§ 157, 2280
Verfahrensgang
AG Augsburg (Entscheidung vom 12.02.1996; Aktenzeichen VI 2225/94) |
LG Augsburg (Beschluss vom 22.01.1996; Aktenzeichen 5 T 3456/95) |
Tenor
I. Auf die weitere Beschwerde des Beteiligten zu 2 wird der Beschluß des Landgerichts Augsburg vom 22. Januar 1996 aufgehoben.
II. Das Amtsgericht Augsburg wird angewiesen, den von ihm am 12. Februar 1996 verfügten und dem Beteiligten zu 1 erteilten Erbschein einzuziehen.
III. Der Beteiligte zu 1 hat dem Beteiligten zu 2 die im Beschwerdeverfahren vor dem Landgericht entstandenen Kosten zu erstatten.
IV. Der Geschäftswert des Verfahrens der weiteren Beschwerde wird auf 30 000 DM festgesetzt.
Tatbestand
I.
Die 1994 im Alter von 90 Jahren verstorbene Erblasserin war in zweiter Ehe mit K. verheiratet, der im Jahre 1973 vorverstorben ist. Die Ehe blieb kinderlos.
Die Ehegatten schlossen am 22.8.1972 vor dem Notar B. einen Erbvertrag. Dessen Nr. II lautet wie folgt:
„Für den Fall des Auflösens unserer Ehe durch den Tod bestimmen wir hiermit im Wege des Erbvertrags, also in einseitig unwiderruflicher Weise, folgendes:
(1) Wir setzen uns hiermit gegenseitig zu alleinigen und ausschließlichen Erben ein.
(2) Beim Tod des Erstversterbenden von uns beiden eventuell vorhandene pflichtteilsberechtigte Personen verweisen wir hiermit unter Anrechnung aller anrechnungsfähigen Vorempfänge auf die Geltendmachung der gesetzlichen Pflichtteilsrechte.
(3) Weiter bestimmen wir heute nichts.”
Neben der in (3) getroffenen Bestimmmung findet sich der Randvermerk „Ergänzung s. Schluß!”. Am Schluß des Vertrages ist in Nr. VI bestimmt:
„Zum Erben des Zuletztversterbenden von uns berufen wird den Neffen des Ehemanns, nämlich … (Beteiligter zu 1) ersatzweise dessen Abkömmlinge nach gleichen Stammteilen zum Erben zur einen Hälfte und den Bayerischen Blindenbund e.V. zum Erben zur anderen Hälfte.
Sonst haben wird nichts zu bestimmen”
Gestützt auf diese Verfügung hat der Beteiligte zu 1 die Erteilung eines Erbscheins als Alleinerbe beantragt. Er vertritt die Auffassung, daß der mit dem Wort „ersatzweise” beginnende zweite Satzteil der Nr. VI Satz 1 des Erbvertrags insgesamt nur eine Ersatzerbeneinsetzung enthalte, die, nachdem er den Erbfall erlebt habe, bedeutungslos sei. Demgegenüber vertritt der Bayerische Blindenbund (Beteiligter zu 2) die Auffassung, daß er und der Beteiligte zu 1 zu je 1/2 zum Erben eingesetzt seien; die Ersatzerbeneinsetzung betreffe nur die Abkömmlinge des Beteiligten zu 1 und nur dessen Erbteil.
Das Amtsgericht hat mit Beschluß vom 7.6.1995 den Antrag des Beteiligten zu 1, ihm einen Erbschein als Alleinerben zu erteilen, zurückgewiesen. Auf Beschwerde des Beteiligten zu 1 hat das Landgericht mit Beschluß vom 22.1.1996 diese Entscheidung aufgehoben und das Amtsgericht angewiesen, dem Beteiligten zu 1 einen Erbschein als Alleinerbe zu erteilen. Hiergegen richtet sich die am 15.2.1996 erhobene weitere Beschwerde des Beteiligten zu 2.
Der Nachlaßrichter hatte am 12.2.1996 den Erbschein, zu dessen Erteilung er in der Beschwerdeentscheidung angewiesen wurde, verfügt. Eine Ausfertigung wurde an den Beteiligten zu 1 hinausgegeben.
Entscheidungsgründe
II.
1. Die weitere Beschwerde ist zulässig. Mit ihr kann unmittelbar die Einziehung des Erbscheins verlangt werden, der nach Erlaß der Beschwerdeentscheidung entsprechend der in dieser enthaltenen Anweisung des Beschwerdegerichts vom Nachlaßgericht bewilligt worden ist (vgl. BayObLGZ 1996, 69/73 m.w.N.).
2. Das Landgericht hat ausgeführt, daß der Erbvertrag vom 22.8.1972 in der hier maßgeblichen Nr. VI nicht eindeutig und deshalb auslegungsbedürftig sei. Maßgeblich sei das subjektive Verständnis des Erblassers. Entgegen der Auffassung des Nachlaßgerichts verdiene die vom Beteiligten zu 1 vertretene Auslegung den Vorzug, wonach dieser zum Alleinerben, der Blindenbund (Beteiligter zu 2) und die Abkömmlinge des Beteiligten zu 1 nur zu Ersatzerben eingesetzt seien. Sehe man von den Schreibfehlern „wird” statt „wir”) ab, so enthalte der für die Erbeinsetzung maßgebliche Satz in Ziffer VI des Erbvertrags eine klare Einteilung in zwei Satzteile, die durch das Komma vor dem Wort „ersatzweise” getrennt seien. Bei dem Verständnis der Verfügung im Sinne einer Miterbeneinsetzung der Beteiligten zu 1 und zu 2 läge eine nach dem Wortlaut „sehr unbeholfene” Formulierung vor. Daß diese gewählt worden sei, könne nicht angenommen werden, da ein von einem Notar formulierter Vertragstext vorliege. Vielmehr sei davon auszugehen, daß „einer sprachlich klaren Formulierung” der Vorzug gegeben worden sei. Der Auslegung, wonach der Beteiligte zu 1 zum Alleinerben berufen sei, stehe nicht entgegen, daß der beurkundende Notar im Beschwerdeverfahren erklärt habe, der Auslegung des Nachlaßgerichts geb...