Leitsatz (amtlich)
1. Der Ort des Schadenseintritts liegt regelmäßig am (Wohn-)Sitz des Geschädigten, wenn sich der Eingriff unmittelbar gegen das Vermögen als Ganzes richtet. Um einen solchen Eingriff in das Vermögen als Ganzes handelt es sich, wenn der Schaden in einem sogenannten Dieselfall bereits in der Eingehung einer ungewollten Verpflichtung zur Zahlung des Kaufpreises liegt. Wo und wie der Kaufpreis in einem solchen Fall bezahlt wurde, ist dagegen nicht entscheidend, da die Begleichung der Entgeltforderung den bereits mit Vertragsschluss verwirklichten Schaden nur perpetuiert.
2. Neben den Schadensort (am Belegenheitsort des Vermögens) tritt ein Erfolgsort am Ort des Vertragsschlusses, der jedoch nur einen zusätzlichen Gerichtsstand nach Wahl des Klägers begründet.
3. Wird ein Verweisungsbeschluss maßgeblich mit einem tatsächlichen Umstand begründet, der keine Stütze im Parteivorbringen findet, so fehlt ihm jegliche sachliche Rechtfertigung. Das hat zur Folge, dass er als offensichtlich unhaltbar und damit objektiv willkürlich anzusehen ist und deshalb nicht die Bindungswirkung gemäß § 281 Abs. 2 Satz 4 ZPO entfaltet.
Verfahrensgang
LG München II (Aktenzeichen 1 O 5565/20) |
LG Regensburg (Aktenzeichen 83 O 570/21) |
Tenor
Örtlich zuständig ist das Landgericht München II.
Gründe
I. Der im Bezirk des Landgerichts München II wohnhafte Kläger macht mit seiner zu diesem Gericht erhobenen Klage vom 29. Dezember 2020 gegen die im Bezirk des Landgerichts Ingolstadt ansässige Beklagte Ansprüche aus § 826 BGB, § 831 BGB, § 823 Abs. 2 BGB i. V. m. § 263 StGB sowie i.V.m. § 6 Abs. 1, § 27 Abs. 1 EG-FGV auf Ersatz des Schadens geltend, der ihm aus dem Kauf eines Gebrauchtwagens von einem in Neutraubling im Bezirk des Landgerichts Regensburg ansässigen Autohaus entstanden sei. In dem Fahrzeug sei ein Motor der Baureihe EA 288 eingebaut, der von Manipulationen an der Motorsteuersoftware in einer unzulässigen Abschaltvorrichtung betroffen sei. Die örtliche Zuständigkeit des Landgerichts München II ergebe sich aus § 32 ZPO. Da bei einem Anspruch nach § 826 BGB der Eintritt eines Schadens zum Tatbestand gehöre, sei auch der Ort des Schadenseintritts Begehungsort im Sinne des § 32 ZPO; das sei sein Wohnort.
Das Landgericht München II hat in seiner Eingangsverfügung vom 19. Januar 2021 auf Bedenken gegen seine örtliche Zuständigkeit hingewiesen. Insbesondere sei keine Zuständigkeit gemäß § 32 ZPO erkennbar. Der Kaufvertrag sei mit einem Autohaus in Neutraubling und damit im Gerichtsbezirk des Landgerichts Ingolstadt [sic!] geschlossen worden; auf welche Weise der Kaufpreis entrichtet worden sei, worauf es für die Zuständigkeit nach § 32 ZPO regelmäßig ankomme, trage der Kläger nicht vor, obwohl dieser Umstand für die Bestimmung des Schadensorts von Bedeutung sei; die Ansicht des Klägers, für Klagen wie die vorliegende sei stets ein Gerichtsstand nach § 32 ZPO am Wohnort des in seinem Vermögen Geschädigten gegeben, überzeuge nicht.
Daraufhin hat der Kläger innerhalb der ihm zur Stellungnahme gesetzten Frist die Auffassung vertreten, das Landgericht München II sei gemäß § 32 ZPO örtlich zuständig, denn maßgeblich sei der Ort, an dem sich die Kaufsache bestimmungsgemäß befinde; das sei sein Wohnort. Zu den zuständigkeitsbegründenden Begehungsorten i.S.d. § 32 ZPO gehöre auch der Ort, an dem das streitgegenständliche Ereignis eingetreten sei, demnach der Ort des Kaufvertragsschlusses, der im Bezirk des Landgerichts Regensburg liege. Daneben bestehe der allgemeine Gerichtsstand der Beklagten im Bezirk des Landgerichts Ingolstadt. Aufgrund dieser unterschiedlichen Gerichtsstände stehe ihm ein Wahlrecht zu. Soweit das Gericht seiner Auffassung nicht folgen sollte, werde beantragt, den Rechtsstreit an das Landgericht Regensburg zu verweisen, hilfsweise an das Landgericht Ingolstadt.
Die Beklagte hat in ihrer Klageerwiderung lediglich die Abweisung der Klage als unbegründet beantragt und sich in den ihr zur Stellungnahme auf den gerichtlichen Hinweis und in der Folge auf den Verweisungsantrag gesetzten Fristen nicht zur örtlichen Zuständigkeit geäußert.
Mit den Parteien mitgeteiltem Beschluss vom 8. März 2021 hat sich das Landgericht München II für örtlich unzuständig erklärt und den Rechtsstreit an das Landgericht Regensburg verwiesen. Zur Begründung hat es ausgeführt, örtlich unzuständig zu sein. Seine Zuständigkeit ergebe sich insbesondere nicht aus § 32 ZPO. Grundsätzlich gelte, dass der Ort, an dem eine unerlaubte Handlung begangen worden sei (Begehungsort), sowohl der Ort sein könne, an dem der Täter gehandelt habe (Handlungsort), als auch der Ort, an dem in das geschützte Rechtsgut eingegriffen worden sei (Erfolgsort), sowie, wenn der Schadenseintritt selbst zum Tatbestandsmerkmal der Rechtsverletzung gehöre, der Ort des Schadenseintritts. Nach obergerichtlicher Rechtsprechung solle daraus folgen, dass ein Gerichtsstand aus § 32 ZPO an dem Ort begründet sei, an dem der Kaufvertrag abgeschlossen worden sei, und an dem Ort, an dem ...