Entscheidungsstichwort (Thema)
teilweise Entziehung der elterlichen Sorge. Bestimmung des zuständigen Gerichts
Leitsatz (amtlich)
Die Überprüfung und Abänderung einer Sorgerechtsentscheidung gemäß § 1696 BGB ist ein gegenüber der Erstentscheidung selbständiges Verfahren, für das die Zuständigkeit unabhängig vom Erstverfahren zu bestimmen ist. Für diese Überprüfung und Abänderung sind seit 1.7.1998 die Familiengerichte auch dann zuständig, wenn die Erstentscheidung durch ein Vormundschaftsgericht getroffen worden ist.
Normenkette
BGB §§ 1666, 1696; ZPO § 36 Abs. 1 Nr. 6, § 621; KindRG Art. 15 § 1
Verfahrensgang
AG Nürnberg (Aktenzeichen 103 F 2404/98) |
Tenor
Zuständig ist das Amtsgericht – Familiengericht – Nürnberg.
Tatbestand
I.
Das 11-jährige Kind ist behindert und wird von seiner Mutter versorgt, der seit der Scheidung vom Vater des Kindes die elterliche Sorge allein übertragen ist. Da die Mutter der Einnahme eines nach sachverständiger Meinung indizierten Medikaments ablehnend gegenüberstand, hat ihr das Vormundschaftsgericht mit Beschluß vom 22.7.1997 gemäß § 1666 BGB die elterliche Sorge für den Bereich der Gesundheitsfürsorge entzogen, soweit die Verabreichung dieses Medikaments betroffen ist, und das Stadt Jugendamt zum Ergänzungspfleger bestellt. Der Beschluß wurde nicht angefochten.
Am 1.10.1998 hat der zuständige Vormundschaftsrichter die Akten dem Familiengericht übersandt und gebeten, das Verfahren zur Überprüfung der Maßnahme (§ 1696 Abs. 3 BGB) zu übernehmen. Für diese Überprüfung sei nunmehr das Familiengericht zuständig. Denn durch das am 1.7.1998 in Kraft getretene Kindschaftsrechtsreformgesetz seien gerichtliche Maßnahmen, die die elterliche Sorge für das Kind beträfen, umfassend den Familiengerichten zugewiesen worden. Die Überleitungsvorschrift des Art. 15 § 1 Abs. 1 KindRG greife nicht ein. Der Familienrichter hat mit Beschluß vom 12.10.1998 die Übernahme abgelehnt, da das frühere Verfahren noch beim Vormundschaftsgericht anhängig sei. Der Vormundschaftsrichter hat die Sache zur Entscheidung über den Zuständigkeitsstreit dem Bayerischen Obersten Landesgericht vorgelegt.
Entscheidungsgründe
II.
1. Das Vormundschaftsgericht und das Familiengericht des Amtsgerichts streiten über die Zuständigkeit für die Durchführung des Überprüfungsverfahrens gemäß § 1696 Abs. 3 BGB. Zur Entscheidung dieses Zuständigkeitsstreits ist in sinngemäßer Anwendung von § 36 Abs. 1 Nr. 6 ZPO das Bayerische Oberste Landesgericht als das im Rechtszug zunächst höhere Gericht berufen (BayObLGZ 1994, 91/92 f. und 378/380, BayObLG FamRZ 1998, 376).
2. Die Voraussetzungen für eine Zuständigkeitsbestimmung gemäß § 36 Abs. 1 Nr. 6 ZPO liegen vor.
a) Die Bestimmung ist zulässig, obwohl die Gerichte bisher weder die Mutter noch den Pfleger über die Einleitung eines Überprüfungsverfahrens unterrichtet haben. Zwar setzt § 36 Abs. 1 Nr. 6 ZPO einen Kompetenzkonflikt im Rahmen eines „Rechtsstreits” voraus. Daher muß im Klageverfahren grundsätzlich die Klageschrift zugestellt und damit der Rechtsstreit rechtshängig geworden sein; bei entsprechender Anwendung der Vorschrift im Rahmen anderer Verfahren muß bei Antragsverfahren die das Verfahren in Gang setzende Antragsschrift dem Gegner mitgeteilt sein (BGH NJW 1980, 1281 und NJW-RR 1995, 514). In Ausnahmefällen kann es jedoch gerechtfertigt sein, bereits vor diesem Zeitpunkt das zuständige Gericht zu bestimmen, um einen langwierigen Zuständigkeitsstreit zu vermeiden (BGH NJW 1983, 1062; vgl. auch Bornkamm NJW 1989, 2713/2720 und Zöller/Vollkommer ZPO 21. Aufl. § 36 Rn. 26). So kann eine Zuständigkeitsbestimmung vor Mitteilung an den Verfahrensbetroffenen stattfinden, wenn die maßgebenden Verfahrensvorschriften diese Mitteilung nicht erfordern (BayObLGZ 1985, 397/400), ferner dann, wenn ohne eine solche Bestimmung die Beilegung des Zuständigkeitsstreits in absehbarer Zeit nicht erwartet werden kann (BayObLGZ 1991, 240/242 und 1994, 378/380). Ein vergleichbarer Fall liegt hier vor. § 1696 Abs. 3 BGB ordnet ausdrücklich an, daß langdauernde Maßnahmen gemäß §§ 1666 bis 1667 BGB von Amts wegen zu überprüfen sind. In einem solchen Überprüfungsverfahren kann vielfach schon aufgrund der Akten oder nach Einholung einer Stellungnahme des Jugendamts beurteilt werden, ob ein formelles Abänderungs- oder Aufhebungsverfahren gemäß § 1696 Abs. 1, 2 BGB einzuleiten ist oder nicht (vgl. Staudinger/Coester BGB 12. Aufl. Rn. 23 und MünchKomm/Hinz BGB 3. Aufl. Rn. 20, jeweils zu § 1696; Thalmann DRiZ 1980, 180 f.). Das Verfahren findet seinen Abschluß in einem Aktenvermerk (Staudinger/Coester a.a.O.), der den Betroffenen nicht mitgeteilt wird. Allein um die Durchführung dieser Überprüfung geht es hier. Nach Aktenlage erscheint es durchaus möglich, daß es bei einer gerichtsinternen Sachbehandlung verbleibt und den Betroffenen das Ergebnis der Überprüfung nicht zur Kenntnis kommt. Dann aber ist auch deren Beteiligung allein für die Bestimmung des für die Überprüfung zuständigen Gerichts nicht geboten. Die Entscheidu...