Entscheidungsstichwort (Thema)
Revision. Sprungrevision. Sachrüge. Verfahrensrüge. Urteil. Urteilsaufhebung. Urteilsgründe. Feststellungen. lückenhaft. unklar. Darstellungsmangel. Tat. Tatgeschehen. Tatbestand. Urkunde. Urkundenbegriff. Urkundenfälschung. Gebrauchmachen. echt. unecht. fälschen. verfälschen. Gedankenerklärung. verkörpert. Beweis. Beweisbestimmung. Beweiseignung. Aussteller. Ausstellung. Täuschung. Identitätstäuschung. Namenstäuschung. Irrtum. Impfung. Impfstoff. Chargen-Nummer. COVID-19. COVID-19-Impfstoff. Vakzin. Impfausweis. Impfzertifikat. Impfstatus. Arzt. Apotheke. Apotheker. Apothekerin. Umwandlung. digital. Gesundheitszeugnis. Konkurrenz. Gesetzeskonkurrenz. Konkurrenzverhältnis. Sperrwirkung. Bezugnahme. Divergenz. Divergenzvorlage. Bestellung. Bestellungsakt. Behörde. behördlich. Verbotsirrtum
Leitsatz (amtlich)
1. Ein tatrichterliches Urteil hält wegen durchgreifender Darstellungsmängel der sachlich-rechtlichen Nachprüfung nicht stand, wenn zum Tatgeschehen keine Tatsachen geschildert werden, sondern lediglich Rechtsbegriffe der Strafvorschrift wiedergegeben werden.
2. Im Falle einer Verurteilung wegen Urkundenfälschung gemäß § 267 Abs. 1 3. Alt. StGB müssen die tatsächlichen Feststellungen so genau abgefasst werden, dass beurteilt werden kann, ob das Tatbestandsmerkmal der Urkunde, also eine verkörperte Gedankenerklärung, die zum Beweis bestimmt und geeignet ist und einen Aussteller erkennen lässt, erfüllt ist. Ferner muss sich aus den Urteilsfeststellungen ergeben, ob von einer unechten Urkunde Gebrauch gemacht wurde, d.h. einer solchen, die nicht vom scheinbaren Aussteller stammt, oder es sich um eine nachträgliche Verfälschung durch inhaltliche Änderung einer ursprünglichen echten Urkunde handelt.
3. Eine Divergenzvorlage nach § 121 Abs. 1 Nr. 1a, Abs. 2 Nr. 1 GVG oder nach § 10 Abs. 1 EGGVG i.V.m. § 132 Abs. 2 und 3 GVG kommt nicht in Betracht, wenn das Tatgeschehen nicht hinreichend festgestellt ist.
Normenkette
StGB §§ 17, 267 Abs. 1; StGB a.F. §§ 277, 279; StPO § 267 Abs. 1 Sätze 1, 3, §§ 335, 337, 349 Abs. 2, 4, §§ 353, 354 Abs. 2 S. 1; GVG § 121 Abs. 1 Nr. 1 Buchst. a), Abs. 2 Nr. 1, § 132 Abs. 2-3, § 212 Abs. 2 Nr. 1; EGGVG § 10 Abs. 1; IfSG § 22 Abs. 5 S. 1 Nr. 2, Sätze 2, 1 Nr. 2 Fassung: 2021-05-28, S. 2 Fassung: 2021-05-28, S. 3 Fassung: 2021-05-08
Tenor
I.
Auf die Revision des Angeklagten wird das Urteil des Amtsgerichts vom 30. März 2022 mit den Feststellungen aufgehoben.
II.
Die Sache wird zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels, an eine andere Abteilung des Amtsgerichts zurückverwiesen.
Gründe
I.
Das Amtsgericht hat den Angeklagten am 30.03.2022 wegen Urkundenfälschung zu einer Geldstrafe von 100 Tagessätzen zu je 40 Euro verurteilt. Mit seiner hiergegen gerichteten Sprungrevision rügt der Angeklagte die Verletzung formellen und materiellen Rechts. Mit Zuleitungsschrift vom 04.07.2022 beantragt die Generalstaatsanwaltschaft, die Revision gemäß § 349 Abs. 2 StPO zu verwerfen.
II.
Die statthafte (§ 335 StPO) Sprungrevision ist zulässig und begründet. Das Rechtsmittel führt auf die Sachrüge zur Aufhebung des angefochtenen Urteils und zur Zurückverweisung der Sache, weshalb es auf die verfahrensrechtlichen Beanstandungen nicht mehr ankommt. Das Urteil leidet an durchgreifenden Darstellungsmängeln, weil die Feststellungen des Amtsgerichts lückenhaft und unklar sind und damit dem Senat bereits nicht die revisionsgerichtliche Überprüfung ermöglicht, ob der Angeklagte - wie vom Amtsgericht angenommen - zur Täuschung im Rechtsverkehr im Tatzeitpunkt am 18.11.2021 den Tatbestand der Urkundenfälschung in der Tatmodalität des Gebrauchmachens von einer unechten oder verfälschten Urkunde i.S.v. § 267 Abs. 1 3. Alt. StGB erfüllt hat.
1. Die Feststellungen des Amtsgerichts genügen nicht den Anforderungen des § 267 Abs. 1 Satz 1 StPO. Nach dieser Bestimmung müssen die Urteilsgründe die für erwiesen erachteten Tatsachen, also das Tatgeschehen, mitteilen, in dem die gesetzlichen Merkmale der Straftat gefunden werden. Dies muss in einer geschlossenen Darstellung aller äußeren und jeweils im Zusammenhang damit auch der dazugehörigen inneren Tatsachen in so vollständiger Weise geschehen, dass in den konkret angeführten Tatsachen der gesetzliche Tatbestand erkannt werden kann; denn nur dann kann das Revisionsgericht auf die Sachrüge prüfen, ob bei der rechtlichen Würdigung eine Rechtsnorm nicht oder nicht richtig angewendet worden (st.Rspr.; vgl. nur BGH, Beschl. v. 08.03.2022 - 1 StR 483/21 bei juris; 17.11.2020 - 4 StR 390/20 = NStZ-RR 2021, 83 = StV 2021, 226 = BGHR GVG § 169 S 1 Öffentlichkeit 5; 08.10.2019 - 4 StR 421/19 = NStZ-RR 2020, 28; 24.05.2017 - 1 StR 176/17 = wistra 2017, 445 = StV 2018, 39 = NStZ 2018, 341= NZWiSt 2018, 3839 = BeckRS 2017, 120582; 01.10.2015 - 3 StR 102/15 = NStZ-RR 2016, 12 = StV 2017, 89).
2. Diesen Anforderungen wird das angefochtene Urteil nicht gerecht.
a) Nach den Feststellungen des Amtsgerichts brachte sich der Angeklagt...