Fälschung von Corona-Impfbescheinigungen schon nach altem Recht strafbar
Nach einer aktuellen Entscheidung des BGH war die zum 1.6.2021 in Kraft getretene Reform der Strafbarkeit im Zusammenhang mit der Fälschung von Gesundheitszeugnissen möglicherweise (teilweise) überflüssig. Das Ausstellen und der Gebrauch einer gefälschten Impfbescheinigung war nach Rechtsauffassung des BGH auch schon vor Inkrafttreten der Reform strafbar.
Reform zur Schließung einer Gesetzeslücke
Mit der teilweisen Reform der Urkundsdelikte zum 1.6.2021 hat der Gesetzgeber eine vermeintliche Gesetzeslücke schließen wollen. Mit dieser Reform wurden die
- Dokumentation einer in Wahrheit nicht durchgeführten Schutzimpfung gegen das Cov-19-Virus,
- das Ausstellen einer unrichtigen Bescheinigung eines Impf- oder Testnachweises sowie
- die Nutzung einer solchen Bescheinigung zur Täuschung im Rechtsverkehr
unter Strafe gestellt, §§ 74 Abs. 2, 75a Abs. 1, 2 u. 3 IfSG.
Strafrahmen erhöht, Strafbarkeit vorverlegt
Flankierend wurden die
- Strafrahmen der §§ 277 ff StGB erhöht und
- in einem neuen § 279 StGB auch der bloße Gebrauch unrichtiger Gesundheitszeugnisse mit Freiheitsstrafe bis zu einem Jahr bedroht.
- Gemäß § 275 Abs. 1a StGB wurde darüber hinaus die Strafbarkeit der Fälschung von Gesundheitszeugnis auf die Vorbereitung der Fälschung von unrichtigen Ausweisen (Beschaffung von Blankodokumenten) vorverlegt.
Vorlage falscher Gesundheitszeugnisse nur gegenüber Behörden strafbar
Hintergrund der Gesetzesreform waren die Entscheidungen einiger Strafgerichte, die nach altem Recht unter anderem das Vorzeigen gefälschter Impfausweise in Apotheken zum Zwecke der Erlangung eines Impfzertifikats als nicht strafbar gewertet hatten. Nach dem Gesetz sei nur die Vorlage von falschen Gesundheitszeugnissen gegenüber Behörden strafbar, nicht aber die Vorlage gegenüber einem Apotheker.
Fälschung von Gesundheitszeugnissen als „lex specialis“?
Eine Bestrafung der Täter nach den allgemeinen Regelungen zur Urkundenfälschung kam nach diesen Entscheidungen auch nicht in Betracht, da die Vorschriften zur Fälschung von Gesundheitszeugnissen insoweit „lex specialis“ seien und die Anwendbarkeit der allgemeinen Urkundsdelikte suspendiert sei (LG Osnabrück, Beschluss v. 26.10.2021, 3 Qs 38/21; LG Karlsruhe, Beschluss v. 26.11.2021, 16 Qs 90/21).
BGH lehnt Sperrwirkung ab
Nach der Bewertung des BGH besteht eine solche von den Gerichten angenommene Sperrwirkung der Strafvorschriften zur Fälschung von Gesundheitszeugnissen gegenüber den allgemeinen Urkundsdelikten nicht. In dem vom BGH entschiedenen Fall hatte der Angeklagte insgesamt 19 unrichtige Bescheinigungen über angeblich erfolgte CoV-19-Impfungen ausgestellt. Die Angaben zur erfolgten Coronaimpfung versah er mit einem vorgeblichen Stempel eines Impfzentrums sowie der nachgeahmten bzw. erfundenen Unterschrift eines angeblichen Impfarztes.
Keine Zweifel am Tatvorsatz
Der BGH hatte keinerlei Zweifel daran, dass dem Angeklagten angesichts der während der Corona-Pandemie bestehenden Zugangsbeschränkungen für Ungeimpfte zu den verschiedensten Einrichtungen bewusst war, dass seine Abnehmer die Bescheinigungen gegenüber Dritten, etwa den zur Erstellung eines Impfzertifikats berechtigten Apotheken oder in der Gastronomie zum Nachweis angeblicher Schutzimpfungen vorlegen würden.
Tatbestand der Fälschung von Gesundheitszeugnissen nicht erfüllt
Dennoch teilte der BGH die Auffassung der Vorinstanz, dass eine Bestrafung wegen der Fälschung von Gesundheitszeugnissen gemäß der zur Tatzeit geltenden Fassung des § 277 StGB nicht in Betracht kam, da die Vorschrift eine Verwendung der Falsifikation bei einer Behörde oder einer Versicherung voraussetzt. Diese Voraussetzung sei weder bei einer Verwendung in der Gastronomie noch gegenüber einer Apotheke erfüllt.
Keine Privilegierung der Fälscher von Gesundheitszeugnissen
Nicht einverstanden zeigte sich der BGH jedoch mit der Annahme der Vorinstanz, einer Verurteilung wegen einfacher Urkundenfälschung gemäß § 267 StGB habe die Sperrwirkung der Strafvorschriften für die Fälschung von Gesundheitszeugnisse gemäß § 277 StGB a.F. entgegengestanden. Nach Auffassung des BGH sind die Strafvorschriften zur Fälschung von Gesundheitszeugnissen gemäß § 277 StGB a.F. weder nach ihrem Wortlaut noch nach ihrem Sinn und Zweck als abschließende Sonderregelung der Strafbarkeit der Fälschung von Gesundheitszeugnissen einzustufen. Anhaltspunkte für eine solche Privilegierung der Fälscher von Gesundheitszeugnis ließen sich auch nicht den Gesetzesprotokollen zur Einführung dieser Delikte entnehmen.
Voraussetzungen einer Sperrwirkung in zweifacher Hinsicht nicht erfüllt
Der gegenteiligen Auffassung der Vorinstanz erteilte der Senat mit einem weiteren Argument eine Absage. Es sei nicht nachvollziehbar, aus welchen Gründen § 277 StGB a.F. bei einer Einstufung als lex-specialis selbst dann eine Sperrwirkung gegenüber den allgemeinen Urkundsdelikten entfalten solle, wenn der „Spezialtatbestand“ der Fälschung von Gesundheitszeugnissen - wie im konkreten Fall - nicht bzw. nicht vollständig erfüllt sei. In einem solchen Fall könne der vorgebliche Spezialtatbestand mangels Verwirklichung nicht entgegenstehen, d.h. es sei dann grundsätzlich eine Verwirklichung der allgemeinen Strafvorschrift zur Urkundenfälschung nach § 267 StGB in Betracht zu ziehen und zu prüfen.
An eine andere Kammer der Vorinstanz verwiesen
Da die Vorinstanz die Voraussetzungen der Strafbarkeit einer Urkundenfälschung nach § 267 StGB im vorliegenden Fall nicht geprüft hat, bedarf die Sache nach Auffassung des Senats erneuter Verhandlung und Entscheidung, allerdings durch eine andere Strafkammer des LG.
(BGH, Urteil v. 10.11.2022, 5 StR 283/22
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