Leitsatz (amtlich)
1. Geht dem streitigen Verfahren ein Mahnverfahren voraus, so ist für die sachliche Zuständigkeit des Prozessgerichts der Streitwert zum Zeitpunkt des Eingangs der Akten bei diesem maßgeblich, (erst) mit diesem Zeitpunkt tritt auch die Wirkung des § 261 Abs. 3 Nr. 2 ZPO (perpetuatio fori) ein.
2. Erklärt der Kläger den Rechtsstreit hinsichtlich eines Teils der im Mahnverfahren verfolgten Gegenstände für erledigt, so kommt es für die Bestimmung der sachlichen Zuständigkeit des Prozessgerichts nicht darauf an, ob das erledigende Ereignis vor dem Eingang der Akten beim Prozessgericht eingetreten ist, sondern darauf, ob die entsprechende prozessuale Erklärung davor abgegeben worden ist.
3. Verweist ein Landgericht einen Rechtsstreit, dem ein Mahnverfahren vorangegangen ist, nach einer Teilerledigterklärung in der Anspruchsbegründung an das Amtsgericht, so kann die Bindungswirkung der Verweisung gemäß § 281 Abs. 2 Satz 4 ZPO entfallen, wenn sich das Landgericht mit der Frage des Fortbestands seiner Zuständigkeit gemäß § 261 Abs. 3 Nr. 2 ZPO nicht auseinandersetzt.
Verfahrensgang
AG München (Aktenzeichen 174 C 23059/20) |
LG München I (Aktenzeichen 14 O 5777/20) |
Tenor
Sachlich zuständig ist das Landgericht München I.
Gründe
I. Der Kläger hat mit Mahnbescheid vom 20. März 2020 gegen die Beklagte Provisionsansprüche i. H. v. insgesamt 73.970,40 EUR sowie einen Anspruch auf Anwaltsvergütung für vorgerichtliche Tätigkeit i. H. v. 1.752,90 EUR, jeweils nebst Zinsen, geltend gemacht. Auf Gesamtwiderspruch vom 26. März 2020, über den der Kläger mit Nachricht vom 31. März 2020 informiert worden ist, hat das Mahngericht den Rechtsstreit mit Abgabeverfügung vom 28. April 2020 an das im Mahnbescheid als Prozessgericht benannte Landgericht München I abgegeben.
Dort sind die Akten am 11. Mai 2020 eingegangen. Mit Verfügung vom 15. Mai 2020 hat das Landgericht den Kläger zur Anspruchsbegründung binnen zwei Wochen aufgefordert. Der Kläger hat den Anspruch mit Schriftsatz vom 23. Oktober 2020 begründet, in dem er beantragt hat, die Beklagte zur Zahlung von vorgerichtlichen Rechtsanwaltskosten i. H. v. 1.752,90 EUR nebst Zinsen zu verurteilen; im Übrigen hat er die Klage für erledigt erklärt. Das Landgericht hat in der Verfügung zur Anordnung des schriftlichen Vorverfahrens darauf hingewiesen, dass es sachlich unzuständig sein dürfte, jedoch zuständig werde, wenn die Beklagte mündlich zur Hauptsache verhandele, und angefragt, ob Antrag auf Verweisung an das Amtsgericht München gestellt werde. Die Beklagte hat in einem dem Kläger formlos übermittelten Schriftsatz die Aufrechnung mit Schadensersatzansprüchen erklärt und hilfsweise Widerklage i. H. v. 2.000,00 EUR erhoben. In einem weiteren Schriftsatz hat sie die (Un-)Zuständigkeit des Gerichts gerügt. Der Kläger hat unter Bezugnahme auf den richterlichen Hinweis die Verweisung an das Amtsgericht München beantragt. Mit Beschluss vom 15. Dezember 2020 hat das Landgericht den Streitwert auf 1.752,90 EUR festgesetzt, sich für sachlich unzuständig erklärt und den Rechtsstreit an das Amtsgericht München verwiesen. Zur Begründung hat es lediglich ausgeführt, dass die Entscheidung auf § 281 Abs. 1 ZPO beruhe; das angegangene Gericht sei sachlich unzuständig; auf Antrag des Klägers habe es sich für unzuständig zu erklären und den Rechtsstreit an das sachlich zuständige Gericht zu verweisen; die Eventualwiderklage berühre die Zuständigkeit nicht.
Das Amtsgericht München hat sich ohne Anhörung der Parteien mit Beschluss vom 19. Januar 2021 seinerseits für sachlich unzuständig erklärt und das Verfahren dem Bayerischen Obersten Landesgericht zur Bestimmung des zuständigen Gerichts vorgelegt. Zur Begründung hat es ausgeführt, dem Verweisungsbeschluss des Landgerichts komme keine Bindungswirkung zu, denn es handele sich dabei um eine willkürliche Entscheidung. Die Rechtshängigkeit sei jedenfalls mit dem Eingang der Akten beim Landgericht eingetreten. Zu diesem Zeitpunkt sei dessen sachliche Zuständigkeit gegeben gewesen. Gemäß § 261 Abs. 3 Nr. 2 ZPO werde die Zuständigkeit des Prozessgerichts durch eine Veränderung der sie begründenden Umstände nicht berührt; hierzu zähle auch die einseitige Erledigterklärung des Klägers. Der Verweisungsbeschluss stelle einen grundlegenden Verstoß gegen den in § 261 Abs. 3 Nr. 2 ZPO festgelegten Grundsatz der perpetuatio fori dar; eine Bindungswirkung bestehe daher nicht. Die zunächst unterbliebene Bekanntgabe des Beschlusses an die Parteien ist nach Hinweis des Senats nachgeholt worden.
Im Verfahren vor dem Senat hat der Kläger die Auffassung vertreten, der Verweisungsbeschluss des Landgerichts sei zwar falsch, aber nicht willkürlich. Die Beklagte hat sich nicht geäußert.
II. Auf die statthafte Vorlage des Amtsgerichts München ist die sachliche Zuständigkeit des Landgerichts München I auszusprechen.
1. Die Voraussetzungen für die Bestimmung der (sachlichen) Zuständigkeit gemäß § 36 Abs. 1 Nr. 6 ZPO (vgl. Schultzky in Zöller, ZPO, 33. Aufl. 2020, § 36 Rn...