Entscheidungsstichwort (Thema)
Entziehung des Aufenthaltsbestimmungsrechts durch vorläufige Anordnung bei unverschuldetem Erziehungsversagen der psychisch gestörten Mutter
Leitsatz (amtlich)
Zur Entziehung des Aufenthaltsbestimmungsrechts und des Rechts auf Beantragung öffentlicher Hilfen durch vorläufige Anordnung bei unverschuldetem Erziehungsversagen der psychisch gestörten Mutter und des inhaftierten Vaters.
Normenkette
BGB §§ 1666, 1666a; SGB VIII § 27 f.
Verfahrensgang
LG Würzburg (Beschluss vom 25.07.1994; Aktenzeichen 3 T 330/94) |
AG Gemünden am Main (Aktenzeichen 12 X 145/93) |
Tenor
I. Die weitere Beschwerde der Beteiligten zu 1 und 2 gegen den Beschluß des Landgerichts Würzburg vom 25. Juli 1994 wird zurückgewiesen.
II. Der Geschäftswert für das Verfahren der weiteren Beschwerde wird auf 5.000 DM festgesetzt.
Tatbestand
I.
Die Beteiligten zu 1 und 2 sind die Eltern des am 16.4.1992 ehelich geborenen …. Der Beteiligte zu 2 befindet sich seit Juli 1993 in Strafhaft. Am 14.12.1993 beantragte das Kreisjugendamt, den Eltern das Aufenthaltsbestimmungsrecht für ihre Tochter zu entziehen. Das Vormundschaftsgericht hörte die Eltern und eine Vertreterin des Kreisjugendamts persönlich an. Mit Beschluß vom 22.12.1993 entzog es im Weg der einstweiligen Anordnung den Eltern das Recht zur Aufenthaltsbestimmung sowie zur Antragstellung auf Hilfe zur Erziehung gemäß §§ 27 f. SGB VIII und übertrug es dem Kreisjugendamt als Pfleger. Zur Begründung führte das Vormundschaftsgericht aus, das Kleinkind werde nicht altersgemäß versorgt und körperlich sowie emotional vernachlässigt. Es sei unzureichend und fehlerhaft ernährt, in der Motorik und der Sprache seien Entwicklungsrückstände festzustellen. Ein weiterer Verbleib des Kindes in der Familie sei derzeit nicht vertretbar. Das Kreisjugendamt brachte das Mädchen am 23.12.1993 in einer Pflegefamilie unter. Dort lebt es seither.
Das Vormundschaftsgericht veranlasste die Erstellung eines psychiatrischen Gutachtens zur Frage der Erziehungsfähigkeit der Mutter. Die Eltern legten gegen den Beschluß des Vormundschaftsgerichts Beschwerde ein. Das Landgericht hörte die Eltern des Kindes sowie die Pflegemutter durch den Berichterstatter persönlich an und führte weitere Ermittlungen durch. Mit Beschluß vom 25.7.1994 wies es die Beschwerde zurück. Hiergegen richtet sich die weitere Beschwerde.
Entscheidungsgründe
II.
Das zulässige Rechtsmittel hat keinen Erfolg.
1. Das Landgericht hat ausgeführt:
Der im Beschwerdeverfahren ermittelte Sachverhalt rechtfertige den vorläufigen Entzug des Aufenthaltsbestimmungsrechts. Zwar sei nicht nachgewiesen, daß die Beteiligte zu 1 ihre Tochter öfters nachts für mehrere Stunden alleingelassen habe. Ein einzelner Vorfall im Sommer 1993 reiche nicht aus und habe für das Kind nicht zu ernsthaften nachteiligen Folgen Führen können. Eine Gefährdung des Kindes sei jedoch aufgrund des psychischen Zustands der Mutter gegeben. Der Sachverständige und der Leiter des Sozialdienstes einer Nervenklinik, in der die Mutter zwischen 1986 und 1992 dreimal stationär behandelt worden sei, hätten übereinstimmend dargelegt, daß die Mutter mit der Kindeserziehung überfordert sei. Die Beschwerdekammer schließe sich den Bedenken gegen die Erziehungsfähigkeit der Beteiligten zu 1 an. Aufgrund der durchgeführten Ermittlungen sei davon auszugehen, daß sie wogen einer aus ihrer psychischen Erkrankung herrührenden Antriebsschwäche und fehlenden Anteilnahme nicht die erforderliche emotionale Bindung zu ihrer Tochter aufbauen könne. Andere Maßnahmen zur Gefahrenabwehr seien nicht gegeben, nachdem eine engmaschige Betreuung durch die Sozialdienste des Gesundheitsamtes und des Nervenkrankenhauses nicht den erhofften Erfolg gezeigt habe. Inwieweit die Erziehungsdefizite durch eine therapeutische Behandlung der Mutter kompensiert werden könnten, müsse der künftigen Entwicklung vorbehalten bleiben. Der Vater sei wegen der Verbüßung einer Strafhaft schon aus tatsächlichen Gründen nicht in der Lage, die Erziehungsaufgaben wahrzunehmen.
2. Diese Ausführungen halten der rechtlichen Nachprüfung (§ 27 Abs. 1 FGG, § 550 ZPO) stand.
a) Zutreffend geht das Landgericht davon aus, daß vormundschaftsgerichtliche Maßnahmen gemäß § 1666 BGB auch im Weg der vorläufigen Anordnung ergehen können (BayObLG NJW 1992, 1971/1972; Palandt/Diederichsen BGB 53. Aufl. § 1666 Rn. 24). Voraussetzung ist, daß Tatsachen glaubhaft gemacht sind, die ein Eingreifen des Vormundschaftsgerichts rechtfertigen, und daß ein dringendes Bedürfnis für ein unverzügliches Einschreiten besteht, das ein Zuwarten bis zur Beendigung der notwendigen Ermittlungen nicht gestattet, sondern auf der Grundlage vorläufiger Ermittlungsergebnisse eine sofortige Maßnahme zur Abwendung der dem Kind drohenden Gefahr erfordert (vgl. BayObLG a.a.O.; Jansen FGG 2. Aufl. § 19 Rn. 28 m.w.Nachw.).
b) Diese Voraussetzungen hat das Landgericht für den maßgeblichen Zeitpunkt seiner Entscheidung (vgl. Keidel/Kuntze FGG 13. Aufl. § 23 Rn. 2) ohne Rechts fehler bejaht.
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