Entscheidungsstichwort (Thema)
Vormundschaftssache. Sorgerechtssache. Verbleibensanordnung. Kindeswohlgefährdung. Sorgerechtsmißbrauch. Prüfungsumfang. Verfahrenspfleger
Leitsatz (amtlich)
1. Zum Umfang der Ermittlungspflichten des Vormundschaftsgerichts im Verfahren über eine von den Pflegeeltern beantragte Verbleibensanordnung.
2. Hat die nichteheliche Mutter ihr etwa zwei Jahre altes Kind freiwillig in Pflege gegeben und will sie es wieder zu sich nehmen, so rechtfertigt allein der Umstand, daß das Kind acht Jahre lang bei den Pflegeeltern verblieben ist, nicht den Erlaß einer Verbleibensanordnung, wenn das Kind eine persönliche Beziehung zu der Mutter hat, in der Person und der Familie der Mutter geeignete Voraussetzungen für eine weitere gedeihliche Entwicklung des Kindes gegeben sind, sowie bei einer Herausgabe an die Mutter schwere und nachhaltige Schädigungen des körperlichen oder seelischen Wohlbefindens des Kindes nicht zu erwarten sind.
3. Zur Bestellung eines Verfahrenspflegers für das Kind im Sorgerechtsverfahren.
Normenkette
BGB § 1632 Abs. 4, § 1666 Abs. 1; FGG § 12
Verfahrensgang
LG Kempten (Beschluss vom 11.10.1994; Aktenzeichen 4 T 1415/94) |
AG Kaufbeuren (Entscheidung vom 15.06.1994; Aktenzeichen VIII 63/87) |
Tenor
I. Die weitere Beschwerde der Beteiligten zu 2 und 3 gegen den Beschluß des Landgerichts … (Allgäu) vom 11. Oktober 1994 wird mit der Maßgabe zurückgewiesen, daß die Beteiligten zu 2. und 3 die der Beteiligten zu 1 im Beschwerdeverfahren entstandenen Kosten zu erstatten haben.
II. Die Beteiligten zu 2 und 3 haben die der Beteiligten zu 1 im Verfahren der weiteren Beschwerde entstandenen Kosten zu erstatten.
III. Der Geschäftswert des Verfahrens der weiteren Beschwerde wird auf 5.000 DM festgesetzt.
Tatbestand
I.
Die im September 1984 geborene … ist das nichteheliche Kind der Beteiligten zu 1. Das Kreisjugendamt … (Beteiligter zu 4) führt die Amtspflegschaft für das Kind. … befindet sich seit 1986 in Pflege bei den Beteiligten zu 2 und 3, einem Ehepaar. Die Pflege war zunächst als Wochenpflege, seit 1988 als Dauerpflege ausgestaltet.
Die Beteiligte zu 1 ist seit 1991 mit dem Beteiligten zu 6 verheiratet. Aus dieser Ehe entstammen zwei Kinder im Alter von nunmehr zwei und knapp einem Jahr. Ein weiteres nichteheliches Kind der Beteiligten zu 1, das sich zunächst ebenfalls in Pflege befunden hatte, lebt inzwischen in der Familie der Mutter. Diese betreibt ein eigenes Friseurgeschäft.
Nachdem … im August 1992 von einem Ferienaufenthalt bei ihrer Mutter nicht zu den Pflegeeltern zurückgekehrt war, beantragten diese den Erlaß einer Verbleibensanordnung gemäß § 1632 Abs. 4 BGB und eine vorläufige Regelung. Daraufhin entzog das Vormundschaftsgericht durch vorläufige Anordnung vom 3.9.1992 der Mutter unter anderem das Aufenthaltsbestimmungsrecht und bestellte hierfür den Beteiligten zu 4 zum Ergänzungspfleger. Auf dessen Verlangen gab die Mutter das Kind heraus, das seither wieder bei den Pflegeeltern lebt. Die Mutter möchte das Kind jedoch wieder zu sich nehmen.
Das Vormundschaftsgericht hörte die Beteiligten zu 1 bis 4 sowie das Kind an und erholte ein psychologisches Gutachten zu der Frage, ob das Wohl des Kindes durch seine Herausnahme aus dem Haushalt der Pflegeeltern und die Überführung in den Haushalt der leiblichen Mutter gefährdet sei, wenn nicht, unter welchen Umständen und mit welcher Vorbereitung eine Rückkehr des Kindes in die Obhut seiner leiblichen Mutter möglich sei. Mit Beschluß vom 15.6.1994 hob es die vorläufige Anordnung auf und wies den Antrag der Pflegeeltern auf Erlaß einer Verbleibensanordnung zurück. Der hiergegen gerichteten Beschwerde der Pflegeeltern half es nicht ab. Das Landgericht hörte das Kind, die Mutter, deren Ehemann, die Pflegeeltern, eine Vertreterin des Kreisjugendamts Ostallgäu sowie den Sachverständigen an, erholte einen ergänzenden Bericht des für den Wohnort der Mutter zuständigen Jugendamts (Beteiligter zu 5) und wies die Beschwerde mit Beschluß vom 11.10.1994 zurück.
Gegen diese Entscheidung richtet sich die weitere Beschwerde der Pflegeeltern. Diese haben darüber hinaus beantragt, die Vollziehung der Beschlüsse des Vormundschaftsgerichts und des Landgerichts auszusetzen. Die Beteiligte zu 1 ist dem Rechtsmittel sowie dem Aussetzungsantrag entgegengetreten. Der Beteiligte zu 4 hat sich im Rechtsbeschwerdeverfahren ebenfalls geäußert.
Entscheidungsgründe
II.
Die zulässige weitere Beschwerde ist nicht begründet.
1. Das Landgericht hat zur Begründung seiner Entscheidung ausgeführt:
Nach seiner Überzeugung sei das Wohl des Kindes nicht gefährdet, wenn es nicht bei den Pflegeeltern verbleibe. Zwar sei ein Wechsel in der Unterbringung angesichts der gewachsenen Bindungen des Kindes zu den Pflegeeltern und zu seinem derzeitigen Wohnort nur aus triftigen Gründen zu rechtfertigen. Solche Gründe lägen jedoch vor. Die Mutter sei verheiratet, in der Familie lebten ihre drei anderen Kinder. Die Familie sei zwar räumlich beengt untergebracht, dem solle jedoch in naher Zukunf...