Entscheidungsstichwort (Thema)
Aufhebung der Ergänzungspflegschaft. Bestimmung des zuständigen Gerichts
Leitsatz (amtlich)
Das Überprüfungs- und Abänderungsverfahren (§ 1696 BGB; § 50 Abs. 3 FGG) stellt gegenüber der ursprünglichen Anordnung ein neues selbständiges Verfahren dar, für das die gerichtliche Zuständigkeit neu zu bestimmen ist; daher sind auch Änderungen in der Zuständigkeit, die seit dem Erstverfahren eingetreten sind, zu berücksichtigen.
Normenkette
ZPO § 36 Abs. 1 Nr. 6; FGG § 50; BGB §§ 1693, 1696
Tenor
Für die Entscheidung über die beantragte Aufhebung der Ergänzungspflegschaft ist das Amtsgericht – Familiengericht – Augsburg zuständig.
Gründe
I.
Am 14.6.1991 ordnete das Amtsgericht Vormundschaftsgericht – Augsburg für die Betroffene wegen Verhinderung ihrer Mutter als deren gesetzliche Vertreterin Ergänzungspflegschaft an mit dem Wirkungskreis: „Vertretung bei der Wahrnehmung der Rechte als Miterbin nach dem am 28.3.1991 verstorbenen Vater”.
Mit Schreiben vom 15.2.1999 stellte die Mutter der Betroffenen Antrag auf Aufhebung der Ergänzungspflegschaft, den das Vormundschaftsgericht Augsburg am 28.4.1999 ablehnte.
Die Mutter der Betroffenen beantragte mit Schreiben vom 27.1.2000 sowie vom 2.5.2000 jeweils die Entlassung der Ergänzungspflegerin und erklärte am 25.5.2000, sie wünsche nicht nur die Entlassung der Ergänzungspflegerin, sondern beantrage die völlige Aufhebung der Ergänzungspflegschaft für ihre Tochter.
Mit – dem damaligen Verfahrensbevollmächtigten der Antragstellerin mitgeteilter – Verfügung vom 10.3.2000 gab das Vormundschaftsgericht Augsburg das Verfahren zur Entscheidung über den Aufhebungsantrag zuständigkeitshalber an das Familiengericht Augsburg ab.
Unter dem 17.4.2000 reichte das Familiengericht die Akten dem Vormundschaftsgericht mangels Zuständigkeit zurück.
Unter dem 26.4.2000 erneuerte das Vormundschaftsgericht die Verfahrensabgabe an das Familiengericht.
Mit Beschluß vom 12.5.2000 lehnte das Familiengericht die Verfahrensübernahme ab. Inhaltlich unterrichtete hiervon das Vormundschaftsgericht mit Schreiben vom 17.5.2000 die Antragstellerin.
Mit – der Antragstellerin und der Ergänzungspflegerin mitgeteiltem – Beschluß vom 29.5.2000 erklärte sich das Vormundschaftsgericht für nicht zuständig.
Die Rechtspflegerin des Vormundschaftsgerichts legte die Akten unter dem 6.6.2000 dem Oberlandesgericht München und dieses im Juli 2000 dem Bayerischen Obersten Landesgericht zur Bestimmung des zuständigen Gerichts vor.
Hiervon unterrichtete das Bayerische Oberste Landesgericht die Verfahrensbeteiligten im selben Monat. Sie äußerten sich nicht.
II.
1. Das Bayerische Oberste Landesgericht ist als das gemeinsame obere Gericht in entsprechender Anwendung von § 36 Abs. 1 Nr. 6 ZPO zur Entscheidung des Zuständigkeitsstreits zwischen dem Vormundschafts- und dem Familiengericht berufen (BayObLGZ 1999, 6/7).
2. Die Voraussetzungen für eine Zuständigkeitsbestimmung gemäß § 36 Abs. 1 Nr. 6 ZPO liegen vor.
a) Ein Gesuch im Sinne des § 37 Abs. 1 ZPO liegt in der Vorlage des am Zuständigkeitsstreits beteiligten Vormundschaftsgerichts. Hierzu ist im Rahmen des ihr übertragenen Geschäfts (§ 3 Nr. 2 Buchst. a RPflG) auch die Rechtspflegerin befugt (BayObLGZ 1994, 91/93).
b) Beide Gerichte haben sich „rechtskräftig” im Sinne des § 36 Abs. 1 Nr. 6 ZPO für unzuständig erklärt. Bei der hier gegebenen entsprechenden Anwendung des § 36 Abs. 1 Nr. 6 ZPO genügt die jeweils tatsächliche und als verbindlich gewollte Kompetenzleugnung und die Bekanntgabe der Entscheidungen an die Verfahrensbeteiligten (BayObLGZ 1994, 91/93; 1999, 6/8).
3. Für die Entscheidung über die beantragte Aufhebung der Ergänzungspflegschaft ist das Amtsgericht – Familiengericht – Augsburg zuständig.
a) Gemäß § 1696 Abs. 1 BGB haben das Vormundschaftsgericht und das Familiengericht ihre Anordnungen zu ändern, wenn dies aus triftigen, das Wohl des Kindes nachhaltig berührenden Gründen angezeigt ist (vgl. auch § 50 Abs. 3 FGG).
Das Abänderungsverfahren gemäß § 1696 Abs. 1 BGB stellt ein neues selbständiges Verfahren dar. Die Zuständigkeit für dieses Verfahren ist jeweils neu zu bestimmen. Daher sind auch Änderungen in der Zuständigkeit, die seit dem Erstverfahren eingetreten sind (vgl. § 1693 BGB in der seit 1.7.1998 geltenden Fassung: Art. 1 Nr. 46 und Art. 17 § 1 KindRG vom 16.12.1997: BGBl I S. 2942/2950/2967), zu berücksichtigen (BGHZ 21, 306/315; BayObLGZ 1999, 6/8 f.; RGRK/Adelmann BGB 12. Aufl. § 1696 Rn. 23; Palandt/Diederichsen BGB 59. Aufl. § 1696 Rn. 30; Erman/Michalski BGB 10. Aufl. § 1696 Rn. 5 und 6; FamRefK/Rogner – 1998 – BGB Rn. 24 vor § 1626 und § 1696 Rn. 8; MünchKomm/Hinz BGB 3. Aufl. § 1696 Rn. 22).
b) Zuständig ist das Familiengericht (§ 1696 Abs. 1 BGB in der am 1.7.1998 in Kraft getretenen Neufassung laut Art. 1 Nr. 25 und Art. 17 § 1 KindRG vom 16.12.1997: BGBl I S. 2942/2948/2967).
Die noch ausstehende Entscheidung über die beantragte Aufhebung der Ergänzungspflegschaft betrifft das elterliche Sorgerecht. Eingriffe in die elterliche Sor...