Leitsatz (amtlich)
1. Einzelne Vollzugsplanfortschreibungen entwickeln jeweils den einmal festgestellten Vollzugsplan weiter und sind deshalb lediglich unselbständige Bestandteile eines einheitlichen Verfahrensgegenstandes. Ein gegen eine vorangegangene Vollzugsplanfortschreibung gerichtetes Rechtsschutzbegehren erledigt sich also nicht.
2. Der Vollzugsplan als Ganzes ist zwar grundsätzlich nicht angreifbar, einzelne Maßnahmen aber schon, wenn sie Rechtswirkung für den Inhaftierten (etwa im Hinblick auf seine Lockerungsgeeignetheit) entfalten.
3. Da der Vollzugsplan ein zentrales Element des dem Resozialisierungsziel verpflichteten Vollzugs ist, sind in ihm wenigstens in groben Zügen die tragenden Gründe darzustellen, welche die Anstalt zur Befürwortung oder zur Verwerfung bestimmter Maßnahmen veranlasst haben. Minimalanforderung sind dabei u.a. Angaben zu vollzugsöffnenden Maßnahmen (Art. 9 Abs. 1 Satz 2 Nr. 12 BaySvVollzG).
4. Die Gründe für die Gewährung bzw. Versagung von Lockerungen sind dabei nur dann frei von Ermessensfehlern und verhältnismäßig, wenn sie bezogen auf die Art der jeweiligen konkreten Lockerung abgefasst sind. Die Prognose einer Flucht- oder Missbrauchsgefahr in der Person des Sicherungsverwahrten ist zu konkretisieren, bloße pauschale Wertungen genügen nicht.
5. Es ist tatbestandliche Voraussetzung für die Gewährung vollzugsöffnender Maßnahmen nach Art. 54 Abs. 1 BaySvVollzG, dass diese dem Erreichen der Vollzugsziele dienen (positives Tatbestandsmerkmal). Einer Gewährung dürfen zwingende Gründe im Sinne von Art. 54 Abs. 2 BaySvVollzG nicht entgegenstehen (negatives Tatbestandsmerkmal). Hierbei handelt es sich jeweils um eine gerichtlich nur eingeschränkt überprüfbare bewertende Entscheidung, die auch prognostische Elemente enthält.
6. Vollzugsöffnende Maßnahmen sind die wesentlichen Elemente der Entlassungsvorbereitung. Sie sind daher ein wesentliches Instrumentarium zur Umsetzung der Gestaltungsgrundsätze nach Art. 3 BaySvVollzG sowie zum Erreichen der Vollzugsziele nach Art. 2 BaySvVollzG.
7. Bezüglich der Frage, ob der Sicherungsverwahrte Anspruch auf mehr als die gesetzlich vorgeschriebenen vier Ausführungen pro Jahr nach Art. 54 Abs. 3 BaySvVollzG hat, steht der Vollzugsbehörde ein Ermessensspielraum zu. Hinsichtlich einer etwaigen Missbrauchs- oder Fluchtgefahr hat sie eine Einschätzungsprärogative. Eine solche Gefahr kann dabei nicht bejaht werden, wenn zuvor die Mindestanzahl von jährlich vier Ausführungen bei gleicher Sachlage gewährt worden ist.
Normenkette
GG Art. 19 Abs. 4; BaySvVollzG Art. 2-3, 9 Abs. 1 S. 2 Nr. 12, Art. 54 Abs. 1
Verfahrensgang
LG Regensburg (Entscheidung vom 16.11.2020; Aktenzeichen SR StVK 1017/17) |
Tenor
I.
Auf die Rechtsbeschwerde des Sicherungsverwahrten werden der Beschluss der auswärtigen kleinen Strafvollstreckungskammer des Landgerichts Regensburg bei dem Amtsgericht Straubing vom 16.11.2020 und die Vollzugsplanfortschreibungen der Justizvollzugsanstalt Straubing, zuletzt in der Fassung vom 30.07.2020, aufgehoben, soweit darin über 4 Ausführungen pro Jahr hinaus konkrete weitere vollzugsöffnende Maßnahmen versagt worden sind.
II.
Die Justizvollzugsanstalt Straubing wird verpflichtet, den Sicherungsverwahrten unter Beachtung der Rechtsauffassung des Senats erneut zu verbescheiden.
III.
Im Übrigen wird die Rechtsbeschwerde als unbegründet verworfen.
IV.
Die Gebühren werden um 4/5 ermäßigt.
V.
Von den Auslagen der Staatskasse sowie von den den Beteiligten in beiden Instanzen entstandenen notwendigen Auslagen hat die Staatskasse 4/5 zu tragen, der Sicherungsverwahrte 1/5.
VI.
Der Gegenstandswert wird für beide Instanzen auf 5.000,00 Euro festgesetzt.
Gründe
I.
Der Beschwerdeführer ist ab dem 18.01.2017 in der Justizvollzugsanstalt Straubing, Abteilung für Sicherungsverwahrung, untergebracht. Zuvor hatte er bis zum 13.12.2016 vollständig eine Freiheitsstrafe von 6 Jahren und 6 Monaten aufgrund einer Verurteilung des Landgerichts Kempten vom 05.11.2009 wegen gefährlicher Körperverletzung verbüßt.
Der Sicherungsverwahrte wendet sich fortlaufend inhaltlich jeweils gleichlautend gegen die Vollzugsplanfortschreibungen vom 24.11.2017, 12.04.2018, 31.10.2018, 12.04.2019, 18.10.2019, 06.05.2020 und 30.07.2020, zuerst mit einem Antrag auf gerichtliche Entscheidung vom 22.12.2017, zuletzt mit dem Antrag auf gerichtliche Entscheidung vom 06.10.2020,
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die Antragsgegnerin unter Aufhebung ihrer Vollzugsplanfortschreibung vom 30.07.2020, soweit darin über 4 Ausführungen pro Jahr hinaus konkrete weitere vollzugsöffnende Maßnahmen versagt worden sind, zu verpflichten, dem Antragsteller weitere vollzugsöffnende Maßnahmen im Sinne von Art. 54 Abs. 2 BaySvVollzG, zumindest aber im zweiwöchigen Abstand nach Art. 54 Abs. 3 Satz 1 BaySvVollzG, zu gewähren,
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hilfsweise die Antragsgegnerin unter Aufhebung ihrer Vollzugsplanfortschreibung vom 30.07.2020, soweit darin über 4 Ausführungen pro Jahr hinaus konkrete weitere vollzugsöffnende Maßnahmen versagt worden sind, zu verpflichten, den Antr...