Leitsatz (amtlich)
Eine Gerichtsstandsvereinbarung mit salvatorischer Klausel in Allgemeinen Geschäftsbedingungen benachteiligt den Vertragspartner des Verwenders unangemessen und ist auch bei Verwendung im unternehmerischen Geschäftsverkehr unwirksam.
Verfahrensgang
LG Kempten (Aktenzeichen 13 O 118/21) |
LG Stuttgart (Aktenzeichen 18 O 298/21) |
LG Kempten (Aktenzeichen 13 O 1546/21) |
Tenor
Örtlich zuständig ist das Landgericht Kempten (Allgäu).
Gründe
I. Die Klägerin, eine Gesellschaft mit beschränkter Haftung mit Sitz in Stuttgart, ging durch formwechselnde Umwandlung aus einer Aktiengesellschaft mit Sitz in Köln hervor. Als Konzernunternehmen der in Stuttgart ansässigen V. P. VVaG besteht ihr im Handelsregister eingetragener Geschäftszweck unter anderem in der Vermittlung von Versicherungen sowie der Förderung der Tätigkeit von Versicherungsmaklern durch die Erbringung von Serviceleistungen.
Mit dem im Bezirk des Landgerichts Kempten (Allgäu) wohnhaften Beklagten schloss noch die Aktiengesellschaft am 25. Januar 2017 einen als "Courtage-Zusage" bezeichneten Vertrag (Anlage K 1). Danach war der Beklagte "als Versicherungsmakler gemäß §§ 93 ff. HGB, §§ 652 ff. BGB, § 59 Abs. 3 VVG" berechtigt, der Klägerin Versicherungsanträge, Anträge auf Verlängerungen etc. zuzuführen. Gegen die Klägerin als Schuldnerin stand ihm gemäß § 3 des Vertrags und den in Bezug genommenen Courtagerichtlinien (Anlage K 2) eine Courtage für von der jeweiligen Versicherungsgesellschaft angenommene Anträge zu. Für die Abrechnung der Gutschriften in Höhe der jeweils fälligen Provisionen und der Belastungen in Höhe etwaiger Rückforderungsansprüche im Kontokorrentverkehr mit dem Beklagten hatte die Klägerin ein sogenanntes Courtagekonto zu führen.
§ 11 (Schlussbestimmungen) des Vertrags bestimmt unter Ziffer 5:
Erfüllungsort für alle Verbindlichkeiten aus diesem Vertrag ist Köln. Gerichtsstand für alle Streitigkeiten aus diesem Vertrag ist ausschließlich Stuttgart, soweit gesetzlich zulässig.
Die Klägerin nimmt den Beklagten auf Rückzahlung von Courtagen aus innerhalb der Stornohaftungszeit stornierten Versicherungsverträgen und auf Erstattung von Kosten in Anspruch, die nach ihrem Vorbringen im Zusammenhang mit der Titulierung einer nicht verfahrensgegenständlichen Rückzahlungsforderung stehen.
In dem auf ihren Antrag eingeleiteten Mahnverfahren über den Betrag von 18.595,47 EUR wegen "Rückzahlung von Handelsvertreterprovisionen gem. § 87a Abs. 2 HGB gem. Abrechnung 12/2000 abzgl. titulierter Ford. vom 04.12.20" bezeichnete sie das Landgericht Kempten (Allgäu) als Prozessgericht, an das das Verfahren im Fall eines Widerspruchs abgegeben werden soll. Nach fristgerecht eingelegtem und am 29. Dezember 2020 der Klägerin mitgeteiltem Widerspruch wurde das Verfahren gemäß Verfügung vom 18. Januar 2021 an das Landgericht Kempten (Allgäu) abgegeben. Mit der Anspruchsbegründung vom 9. März 2021 bezog die Klägerin den mittlerweile weiter abgelaufenen Zeitraum ein und erweiterte die Klage auf einen Rückzahlungsbetrag von nun 20.839,56 EUR sowie um die selbständige Kostenforderung von 2.269,69 EUR.
Mit der Anordnung des schriftlichen Vorverfahrens gemäß Verfügung vom 10. März 2021 wies das Landgericht Kempten (Allgäu) darauf hin, dass Bedenken hinsichtlich der örtlichen und funktionalen Zuständigkeit des Gerichts bestünden. Die Parteien hätten ausweislich der Anlage K 1 Stuttgart als ausschließlichen Gerichtsstand vereinbart. Die Kaufmannseigenschaft der Klägerin folge aus § 6 HGB, § 3 AktG; diejenige des Beklagten ergebe sich nach derzeitiger Ansicht aus § 1 Abs. 2, §§ 343, 344 HGB. Aus den von der Klägerin vorgelegten Anlagen ergebe sich, dass der Beklagte allein für Februar 2019 eine Courtage in Höhe von ca. 6.000 EUR erhalten habe (Anlage K 5) und für März 2019 ca. 8.000 EUR (Anlage K 8). Damit sei die widerlegbare Vermutung begründet, dass der Beklagte zum Zeitpunkt der jeweiligen Auftragserteilung und Abrechnung Kaufmann gewesen sei, denn nach § 1 Abs. 1 HGB sei jeder Betreiber eines Handelsgewerbes Kaufmann und gemäß § 1 Abs. 2 HGB sei jeder Gewerbebetrieb ein Handelsgewerbe, es sei denn, dass eine kaufmännische Betriebsform nach Art und Umfang des Unternehmens nicht erforderlich sei.
Das Gericht fragte an, ob Verweisungsantrag an die Handelskammer und/oder das Landgericht Stuttgart gestellt werde und gewährte eine Frist zur Stellungnahme von vier Wochen ab Zugang der Verfügung.
Der Beklagte teilte mit Anwaltsschriftsatz vom 9. April 2021 mit, er stelle keinen Verweisungsantrag. Die Gerichtsstandsvereinbarung wirke nicht, da er keinen in kaufmännischer Weise eingerichteten Geschäftsbetrieb hinsichtlich der Tätigkeit für die Klägerin betrieben habe. Dies sei nach Umfang und insbesondere nach Art der ausgeübten Tätigkeit - Vermittlung von Versicherungen - auch nicht erforderlich.
Nach weiterem Schriftwechsel zur Begründetheit der Klage nahm die Klägerin mit Schriftsatz vom 17. Juni 2021 zur Frage der Kaufmannseigenschaft des Beklagten Stellung. Sie gab an...