Leitsatz (amtlich)
1. Die Verletzung des in Art. 103 Abs. 1 GG verankerten Gebots stellt einen so schwerwiegenden Mangel des Verweisungsbeschlusses dar, dass ihm die Bindungswirkung im Gerichtsstandsbestimmungsverfahren nach § 36 Abs. 1 Nr. 6 ZPO abzuerkennen ist.
2. Einer Feststellung, dass die Verweisung bei ordnungsgemäßer Anhörung beider Parteien möglicherweise unterblieben wäre, bedarf es nicht. Kann jedoch nach den besonderen Umständen des Einzelfalls ausgeschlossen werden, dass der Verweisungsbeschluss auf der Verletzung des rechtlichen Gehörs beruht, steht der Gehörsverstoß der Bindungswirkung des Verweisungsbeschlusses ausnahmsweise nicht entgegen.
3. Vereinbaren die Parteien als ausschließlichen Gerichtsstand den Ort, an dem eine Partei ihren Sitz hat, spricht dies im Rahmen der Auslegung dafür, dass das Gericht, in dessen Bezirk dieser Ort liegt, auch im Falle einer Sitzverlegung zuständig ist.
Verfahrensgang
LG Bamberg (Aktenzeichen 22 O 512/21) |
LG Düsseldorf (Aktenzeichen 16 O 148/22) |
Tenor
Örtlich zuständig ist das Landgericht Bamberg.
Gründe
I. Mit ihrer - nach Bewilligung von Prozesskostenhilfe - zum Landgericht Bamberg erhobenen Klage vom 12. April 2022 macht die Klägerin als Insolvenzverwalterin über das Vermögen der xxx UG (haftungsbeschränkt) Schadensersatzansprüche geltend.
Zur Begründung trägt sie vor, die xxx UG (haftungsbeschränkt), über deren Vermögen mit Beschluss des Amtsgerichts Frankfurt am Main vom 27. Mai 2019 das Insolvenzverfahren eröffnet worden sei, habe sich gemäß dem als Anlage zur Klageschrift vorgelegten Projektvertrag vom 12. Mai 2017 verpflichtet, ein Vermarktungskonzept für Werbeflächen bzw. Werbemaßnahmen auf der Webseite der Beklagten zu erstellen. Dafür habe sie nach der im Vertrag getroffenen Provisionsvereinbarung an den Werbeeinnahmen beteiligt werden sollen. Um Werbung anzeigen zu können, sei erforderlich, dass der Betreiber der Webseite einen sogenannten "Ad Tag" setze. Ein Ad Tag sei ein Code, der an dem Quellcode der Webseite eingesetzt werde, um bei Aufrufen der Webseite eine Verbindung zum Ad-Server herzustellen, der für die Verwaltung, Auslieferung und das Tracking von Online-Werbemitteln eingesetzt werde. Die Beklagte habe jedoch eine Implementierung dieser "Ad-Server-Tags" nicht vorgenommen, sodass die eigentlich möglichen Werbeeinnahmen nicht hätten erzielt werden können. Außerdem habe die Beklagte gegenüber der Insolvenzschuldnerin und weiteren Kunden bewusst falsche Angaben zu den Aufrufen ihrer Webseite gemacht, sodass der Geschäftsführer der Insolvenzschuldnerin den Vertrag mit E-Mail vom 17. September 2018 gekündigt habe. Aufgrund der fehlenden Implementierung und der Kündigung habe die Insolvenzschuldnerin keine Provisionsansprüche erhalten, es werde daher entgangener Gewinn als Schadensersatzanspruch geltend gemacht.
Der Projektvertrag zwischen der in Bamberg ansässigen Beklagten ("Auftraggeber") und der in Frankfurt am Main ansässigen Insolvenzschuldnerin ("Auftragnehmer") enthält in § 17 folgende Gerichtsstandsvereinbarung:
"(2) ... Ausschließlicher Gerichtsstand für alle Streitigkeiten aus diesem Vertrag ist Bamberg. Zwingende gesetzliche Gerichtsstände nach deutschem Recht bleiben unberührt."
Nachdem die Beklagte, eine Gesellschaft mit beschränkter Haftung, mit Schriftsatz vom 8. Juni 2022 mitgeteilt hatte, sie habe seit dem 30. September 2021 aufgrund einer Änderung des Gesellschaftsvertrags eine neue Firma und sie habe ihren Sitz von Bamberg nach Düsseldorf verlegt, wies das Landgericht Bamberg mit Verfügung vom 10. Juni 2022 darauf hin, es bestünden Bedenken gegen seine örtliche Zuständigkeit, da der Sitz der Beklagten noch vor Klageerhebung nach Düsseldorf verlegt worden sei. Beiden Parteien wurde eine Stellungnahmefrist von zwei Wochen gewährt. Die Beklagte erhielt Gelegenheit, sich dazu zu äußern, ob bei einem eventuellen Verweisungsantrag der Klägerseite Einverständnis mit einer Verweisung des Rechtsstreits bestehe.
Die Klägerin hat mit Schriftsatz vom 13. Juni 2022 die Berichtigung des Passivrubrums und die Verweisung des Rechtsstreits an das Landgericht Düsseldorf beantragt. Dieser Schriftsatz ist nicht an die Beklagte hinausgegeben worden.
Mit den Parteien mitgeteiltem Beschluss vom 15. Juni 2022 hat sich das Landgericht Bamberg für örtlich unzuständig erklärt und den Rechtsstreit an das Landgericht Düsseldorf verwiesen. Die Entscheidung beruhe auf § 281 Abs. 1 ZPO, der "Geschäftssitz" der Beklagten sei am 30. September 2021 nach Düsseldorf verlegt worden.
Das Landgericht Düsseldorf hat sich mit den Parteien mitgeteiltem Beschluss vom 5. Juli 2022 für örtlich unzuständig erklärt und die Sache dem Oberlandesgericht Bamberg zur Bestimmung des zuständigen Gerichts vorgelegt, das das Verfahren mit Verfügung vom 8. Juli 2022 an das Bayerische Oberste Landesgericht abgegeben hat.
Zur Begründung führt das Landgericht Düsseldorf insbesondere aus, das Landgericht Bamberg sei örtlich zuständig, da die Parteien des Projektvertrags wirksam Bamberg als ...