Leitsatz (amtlich)
Zu den Voraussetzungen der Bestellung eines Betreuers und zur Beachtung des Erforderlichkeitsgrundsatzes bei der Bestimmung der Aufgabenkreise.
Normenkette
BGB § 1896 Abs. 1-2
Verfahrensgang
LG Würzburg (Beschluss vom 29.11.1994; Aktenzeichen 3 T 2095/94) |
AG Würzburg (Aktenzeichen XVII 2847/94) |
Tenor
I. Der Beschluß des Landgerichts Würzburg vom 29. November 1994 wird aufgehoben.
II. Die Sache wird zu anderer Behandlung und neuer Entscheidung an das Landgericht Würzburg zurückverwiesen.
Tatbestand
I.
Für die Betroffene wurde mit Beschluß des Amtsgerichts vom 8.8.1994 eine Betreuerin mit den Aufgabenkreisen Zuführung zu ärztlicher Behandlung, Aufenthaltsbestimmung mit der Entscheidung über die Unterbringung, Regelung der Vermögensangelegenheiten und Entscheidung über den Fernmeldeverkehr und Entgegennahme, öffnen und Anhalten der Post bestellt. Die Beschwerde der Betroffenen hiergegen wies das Landgericht nach Erholung des Sachverständigengutachtens vom 27.10.1994 und persönlicher Anhörung der Betroffenen durch ein beauftragtes Mitglied der Kammer mit der Maßgabe zurück, daß Aufgabenkreise des Betreuers nur noch Aufenthaltsbestimmung und Zuführung zur ärztlichen Behandlung sind. Hiergegen richtet sich die weitere Beschwerde der Betroffenen, mit der sie die Aufhebung der Betreuung in vollem Umfang anstrebt.
Entscheidungsgründe
II.
Die weitere Beschwerde ist begründet. Die Entscheidung des Landgerichts ist aufzuheben, weil nach den bisherigen Feststellungen des Landgerichts Zweifel bestehen, ob die Voraussetzungen für die Bestellung eines Betreuers vorliegen.
1. Das Landgericht hat ausgeführt, die Voraussetzungen für die Bestellung eines Betreuers lägen vor. Die Betroffene leide an einer kataphasischen Psychose. Das Vorliegen einer solchen Krankheit aus dem schizophrenen Formenkreis werde auch von der Betroffenen nicht in Abrede gestellt. Für die Aufgabenkreise, bezüglich derer die Bestellung eines Betreuers bestätigt wurde, sei die Betreuung erforderlich.
Die Betreuung für den Aufgabenkreis Zuführung zur ärztlichen Behandlung sei erforderlich, weil die Krankheitseinsicht der Betroffenen nur gering entwickelt sei und das Bedürfnis bestehe, daß die Betroffene auch nach ihrer Entlassung aus dem Krankenhaus weiter ambulant behandelt werde; es erscheine aber fraglich, ob sie sich aus eigener Kraft einer solchen Behandlung unterziehe. Hieran ändere auch der Umstand, daß sie freiwillig ins Nervenkrankenhaus gegangen sei, nichts. Auch der Aufgabenkreis „Aufenthaltsbestimmung” müsse aufrecht erhalten bleiben, da die Wohnung der Betroffenen zum 21.12.1994 gekündigt sei. Es sei darauf abzustellen, daß als vorteilhaft ein „betreutes Wohnen” anzusehen sei, was aber von der Betroffenen als Verlust an Lebensqualität angesehen werde.
2. Diese Ausführungen halten im Ergebnis der im Verfahren der Rechtsbeschwerde allein zulässigen rechtlichen Nachprüfung (§ 27 Abs. 1 Satz 2 FGG, § 550 ZPO) nicht stand.
a) Kann ein Volljähriger aufgrund einer psychischen Krankheit oder einer körperlichen, geistigen oder seelischen Behinderung seine Angelegenheiten ganz oder teilweise nicht besorgen, so bestellt das Vormundschaftsgericht auf seinen Antrag oder von Amts wegen für ihn einen Betreuer (§ 1896 Abs. 1 Satz 1 BGB). Die Bestellung eines Betreuers von Amts wegen, also ohne Antrag des Volljährigen und gegen seinen Willen, setzt aber voraus, daß der Betreute aufgrund einer psychischen Erkrankung seinen Willen nicht frei bestimmen kann. Dies sagt das Gesetz zwar nicht ausdrücklich, ergibt sich aber aus einer verfassungskonformen Auslegung des Gesetzes (BayObLGZ 1994, 209).
Unter Berücksichtigung dieser Grundsätze kann die angefochtene Entscheidung keinen Bestand haben.
Das Landgericht hat sich zwar mit der Frage befaßt, ob die Betroffene trotz ihrer psychischen Erkrankung noch imstande ist, ihre Angelegenheiten zu besorgen. Den vom Landgericht getroffenen Feststellungen läßt sich jedoch nicht hinreichend sicher entnehmen, ob und inwieweit die Betroffene ihren Willen frei bestimmen kann. Das Gutachten vom 27.10.1994 geht auf diese Frage nicht ein.
b) Nach § 1896 Abs. 2 BGB darf ein Betreuer außerdem nur für Aufgabenkreise bestellt werden, in denen die Betreuung erforderlich ist. Das Prinzip der Erforderlichkeit durchzieht das gesamte Betreuungsrecht. Soweit die Betreuung oder weitere mit ihr verbundene Anordnungen sich wie hier als Eingriffe in die Freiheitsphäre der Person darstellen, hat der Erforderlichkeitsgrundsatz Verfassungsrang (BT-Drucks, 11/4528 S. 120; vgl. BVerfGE 19, 342/348 f.; 58, 208/225 f.; BVerfG NJW 1994, 1577 LS 2 und S. 1578 f.; MünchKomm/Schwab § 1896 Rn. 24). Dieser aus dem Rechtsstaatsprinzip sich ergebende (BVerfGE 19, 342/348 f.; vgl. Jarass/Pieroth GG 2. Aufl. Art. 20 Rn. 56) Grundsatz verlangt für die Bestellung eines Betreuers die konkrete Feststellung, daß sie – auch unter Beachtung der Verhältnismäßigkeit (vgl. BVerfGE 58, 208/226) – notwendig ist, weil der Betroffene auf entsprechende Hilfen angewiesen i...