Leitsatz (amtlich)
1. Zur Statthaftigkeit eines Nachprüfungsantrags bei bevorstehender „de-facto-Vergabe”.
2. Der Begriff „Verträge” in § 99 Abs. 1 GWB ist gemeinschaftsrechtskonform dahin auszulegen, dass er auch öffentlich-rechtliche Verträge umfasst (im Anschluss an EuGH v. 12.7.2001 – Rs. C-399/98, VergabeR 2001, 380).
3. Rettungsdienste sind nach der im Freistaat Bayern gegebenen gesetzlichen Ausgestaltung keine vom Staat zu beschaffende Marktleistung, sondern als öffentliche Aufgabe wahrzunehmen; die Leistungserbringer werden unmittelbar hoheitlich tätig (im Anschluss an BGH v. 9.1.2003 – III ZR 217/01, BGHReport 2003, 321 = NJW 2003, 1184).
Normenkette
GWB § 97 Abs. 1, § 99 Abs. 1, § 107 Abs. 2; BayRDG Art. 3, 7 Abs. 2, Art. 18, 19 Abs. 1 u. 3
Verfahrensgang
Vergabekammer Nordbayern (Beschluss vom 22.04.2003; Aktenzeichen 320. VK-3194–09/03) |
Tenor
I. Der Beschluss des Senats vom 16.5.2003 wird aufgehoben.
II. Der Antrag der Beschwerdeführerin, die aufschiebende Wirkung der sofortigen Beschwerde gegen den Beschluss der Vergabekammer Nordbayern v. 22.4.2003 bis zu einer Entscheidung des Senats in der Hauptsache zu verlängern, wird abgelehnt.
Gründe
I. Die Antragstellerin ist ein privates Rettungsdienst- und Krankentransportunternehmen. Sie betreibt außerhalb des öffentlichen Rettungsdienstes einen Rettungswagen in N. Die ihr hierfür im Jahre 1997 erteilte Genehmigung ist befristet und läuft Ende September 2003 aus; eine Wiedererteilung ist nach dem zwischenzeitlich geänderten Bayerischen Rettungsdienstgesetz ausgeschlossen (Art. 31 Abs. 2 S. 3 BayRDG i.d.F. der Bekanntmachung vom 8.1.1998, GVBl. S. 9). Genehmigungen für Notfallrettung und Krankentransport im Rettungsdienst werden nach Art. 7 Abs. 2 BayRDG nur noch erteilt, wenn für das Fahrzeug ein öffentlich-rechtlicher Vertrag des Antragstellers mit dem Rettungszweckverband vorliegt, durch den dem Antragsteller die Durchführung der Notfallrettung nach Maßgabe von Art. 19 Abs. 1 und 3 BayRDG übertragen ist.
Die Antragstellerin hat vom Rettungszweckverband N. (Antragsgegner) den Abschluss eines solchen öffentlich-rechtlichen Vertrages begehrt. Zwischen den Beteiligten ist unstreitig, dass die Vorhaltung eines Rettungswagens im fraglichen Gebiet der Stadt N. weiterhin erforderlich ist. Der Antragsgegner beabsichtigt, die öffentlich-rechtliche Vorhaltung um einen Rettungswagen zu erhöhen und insoweit eine der in Art. 19 Abs. 1 S. 1 BayRDG genannten Hilfsorganisationen zu beauftragen, denen nach dieser Vorschrift die Durchführung des Rettungsdienstes vorrangig zu übertragen ist. Eine Durchführung durch den Rettungszweckverband selbst, durch seine Verbandsmitglieder oder durch Dritte sieht das Gesetz nur vor, soweit die Hilfsorganisationen hierzu nicht bereit oder in der Lage sind (Art. 19 Abs. 1 S. 2 BayRDG). Unter Hinweis auf diese gesetzliche Vorgabe hat der Antragsgegner mit Schreiben vom 14.8.2002 den Abschluss des von der Antragstellerin gewünschten öffentlichen-rechtlichen Vertrages abgelehnt, nachdem alle in N. im Rettungsdienst tätigen Hilfsorganisationen ihre diesbezügliche Bereitschaft und Leistungsfähigkeit bejaht hatten.
Mit Schreiben ihrer Bevollmächtigten vom 29.8.2002 rügte die Antragstellerin, dass kein Vergabeverfahren durchgeführt werde. Zugleich legte sie Widerspruch ein, den die Regierung von Mittelfranken als Widerspruchsbehörde mit Bescheid vom 18.2.2003 zurückwies. Daraufhin hat die Antragstellerin Klage zum Verwaltungsgericht erhoben, über die noch nicht entschieden ist. Mit ihrer Klage möchte sie sich den Verwaltungsrechtsweg für den Fall offen halten, dass die parallel angerufenen vergaberechtlichen Nachprüfungsinstanzen die Anwendbarkeit des Vergaberechts im vorliegenden Fall verneinen.
Mit ihrem am 18.3.2003 bei der Vergabekammer eingegangenen Nachprüfungsantrag begehrt die Antragstellerin, dem Antragsgegner die Vergabe der streitgegenständlichen Notfallrettungsleistung ohne vorherige öffentliche Ausschreibung zu untersagen. Nach ihrer Auffassung ist die vorgesehene Übertragung von Leistungen der Notfallrettung ein Dienstleistungsauftrag gem. § 99 Abs. 4 GWB. Unter den Begriff der „entgeltlichen Verträge” in § 99 Abs. 1 GWB fielen auch öffentlich-rechtliche Verträge. Entgeltliche Gegenleistung des Auftraggebers sei die Einräumung des Rechts zur Verwertung der eigenen Leistung; zudem hätten die Durchführenden des Rettungsdienstes einen Anspruch auf kostendeckende Vergütung durch die öffentliche Hand, insb. durch die gesetzlichen Krankenkassen. Das Rechtsverhältnis sei nicht als Dienstleistungskonzession zu qualifizieren, da es an der hierfür erforderlichen Tragung des wirtschaftlichen Risikos durch das beauftragte Unternehmen fehle. Somit sei das Vergaberecht anwendbar. Der landesrechtlich normierte Vorrang der Hilfsorganisationen (Art. 19 Abs. 1 BayRDG) sei sachlich nicht begründet und verstoße gegen höherrangiges Bundes- und Europarecht.
Der Antragsgegner hält demgegenüber §§ 97 ff. GWB für nicht anwendbar. Entgeltliche Verträge i.S.d. §...