Leitsatz (amtlich)

1. Zur Anordnung einer Betreuung für alle Angelegenheiten.

2. Zur Anhörung des Betroffenen durch das Beschwerdegericht, wenn in erster Instanz die Anhörung im Wege der Rechtshilfe durch das benachbarte AG durchgeführt wurde, obwohl der Ort der Anhörung von beiden Amtsgerichten fast gleich weit entfernt liegt.

 

Normenkette

BGB § 1896 Abs. 2; FGG § 68

 

Verfahrensgang

LG Landshut (Beschluss vom 03.02.2003; Aktenzeichen 60 T 252/03)

AG Freising (Aktenzeichen XVII 225/02)

 

Tenor

I. Der Beschluss des LG Landshut vom 3. Februar 2003 wird aufgehoben.

II. Die Sache wird zur erneuten Behandlung und Entscheidung an das LG Landshut zurückverwiesen.

 

Gründe

I. Das AG bestellte am 13.1.2003 auf Anregung des Sohnes der Betroffenen diesen zum Betreuer der Betroffenen für alle Angelegenheiten incl. Entgegennahme, Öffnen und Anhalten der Post sowie Entscheidung über Fernmeldeverkehr. Die Beschwerde des Ehemanns der Betroffenen (hier: weiterer Beteiligter) hiergegen hat das LG am 3.2.2003 zurückgewiesen. Die Entscheidung wurde am 6.2.2003 hinausgegeben. Ein Schreiben des Ehemanns, das am 5.2.2003 bei Gericht eingegangen war, hat das LG nicht mehr berücksichtigt. Gegen die Beschwerdeentscheidung richtet sich die weitere Beschwerde des Ehemanns.

II. Die weitere Beschwerde ist zulässig. Sie führt zur Aufhebung der Entscheidung des LG und zur Zurückverweisung der Sache an das LG.

1. Das LG hat ausgeführt, ein demenzieller Abbauprozess habe bereits zur Geschäftsunfähigkeit der Betroffenen geführt. Somit lägen die Eingangsvoraussetzungen für die Bestellung eines Betreuers offenkundig vor. Die Betreuung sei trotz einer Vollmacht mit Datum 20.9.1983, mit der sich die Betroffene und ihr Ehemann gegenseitig zur Vornahme aller im Falle einer Gebrechlichkeit notwendigen Handlungen bevollmächtigten, erforderlich. Zum einen sei zweifelhaft, ob die Betroffene diese Vollmacht selbst unterschrieben habe. Zum anderen sei der Ehemann nicht geeignet, die Belange der Betroffenen ebenso gut wie ein Betreuer zu besorgen, weil er 91 Jahre alt und gehbehindert sei, selbst im Seniorenheim wohne und auf fremde Hilfe angewiesen sei. Bedenken gegen die Betreuerauswahl bestünden nicht.

2. Dies hält der rechtlichen Nachprüfung (§ 27 Abs. 1 FGG, § 546 ZPO) nicht stand.

a) Kann ein Volljähriger aufgrund einer psychischen Krankheit oder einer körperlichen, geistigen oder seelischen Behinderung seine Angelegenheiten ganz oder teilweise nicht besorgen, bestellt das VormG einen Betreuer (§ 1896 Abs. 1 S. 1 BGB). Gegen den Willen des Betroffenen ist die Bestellung eines Betreuers nur zulässig, wenn der Betroffene aufgrund seiner Krankheit oder Behinderung seinen Willen nicht frei bestimmen kann (vgl. BayObLG v. 25.7.1994 – 3Z BR 97/94, BayObLGReport 1994, 76 = BayObLGZ 1994, 209 [211]; BayObLG FamRZ 2001, 1244; OLG Hamm v. 13.7.1999 – 15 W 145/99, OLGreport Hamm 1999, 378 = FamRZ 2000, 494 [496]; OLG Köln v. 17.11.1999 – 5 UF 96/99, OLGReport 2000, 59 = FamRZ 2000, 908). Nach § 1896 Abs. 2 S. 1 BGB darf ein Betreuer nur für Aufgabenkreise bestellt werden, in denen die Betreuung erforderlich ist. Dies bedarf für jeden einzelnen Aufgabenkreis der Konkretisierung (vgl. z.B. BayObLG BtPrax 2002, 38 m.w.N.). Die Bestellung eines Betreuers „zur Besorgung aller Angelegenheiten des Betroffenen” ist vom Gesetz anerkannt (vgl. z.B. § 67 Abs. 1 S. 2 Nr. 2, § 69 l Abs. 1 S. 1 FGG), soll aber die Ausnahme bleiben (vgl. BayObLG v. 22.10.1996 – 3Z BR 178/96, BayObLGReport 1997, 38 = BayObLGZ 1996, 262 [263] m.w.N.). Nach dem Erforderlichkeitsgrundsatz (§ 1896 Abs. 2, § 1908 d Abs. 3 BGB; vgl. BayObLG v. 25.7.1994 – 3Z BR 97/94, BayObLGReport 1994, 76 = BayObLGZ 1994, 209 [211 f.]; BayObLG v. 27.4.1995 – 3Z BR 25/95, BayObLGReport 1995, 52 = FamRZ 1995, 1085) kommt eine Betreuung des Betroffenen in allen seinen Angelegenheiten nur in Betracht, wenn er aufgrund seiner Krankheit oder Behinderung keine seiner Angelegenheiten (mehr) selbst besorgen kann. Abzustellen ist dabei auf seine konkrete Lebenssituation, d.h. auf seine soziale Stellung und seine bisherige Lebensgestaltung. Voraussetzung ist, dass der Betroffene nicht (mehr) imstande ist, den seiner konkreten Lebenssituation entsprechenden Alltag wenigstens teilweise zu beherrschen und zu gestalten (vgl. BayObLG FamRZ 1998, 452 [453] m.w.N.). Hinzukommen muss, dass bezüglich sämtlicher Bereiche, welche die konkrete Lebenssituation des Betroffenen ausmachen, auch Handlungsbedarf besteht (vgl. BayObLG FamRZ 1998, 452 [453] und BtPrax 1995, 64 [65]). Hieran fehlt es unter anderem dann, wenn der Betroffene für einzelne Bereiche einen Bevollmächtigten bestellt hat, der die in diesen Bereichen anfallenden Angelegenheiten ebenso gut wie ein Betreuer besorgen kann (§ 1896 Abs. 2 S. 2 BGB), insb. zur Wahrnehmung der dort anstehenden Aufgaben geeignet, bereit und in der Lage ist. Ob die Bereiche, für die ein Betreuer zu bestellen ist, alle Angelegenheiten des Betroffenen ausmachen, ist Frage des Einzelfalls und unter Zugrundelegung...

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