Leitsatz (amtlich)
1. Bei der Beurteilung der Maßregelvollzugseinrichtung, ob die Gewährung einer Lockerung nach Art. 16 Abs. 6 Nr. 1 BayMRVG widerrufen wird, steht der Anstalt ein Beurteilungsspielraum zu.
2. Die Entscheidung, zu welchem Zeitpunkt und in welcher Form sich eine Lockerung in das Behandlungskonzept einfügt und ob eine Lockerung die Behandlung fördern kann, obliegt primär den Ärzten.
3. Will der Tatrichter überprüfen, ob die Vollzugseinrichtung im Rahmen eines Beurteilungsspielraums von einer zutreffenden und zureichenden Faktenlage ausgegangen ist, hat er die Tatsachengrundlage zum Zeitpunkt der Entscheidung der Einrichtung umfassend zu klären. Das Tatgericht ist im Verfahren nach §§ 109 ff. StVollzG aufgrund der Amtsaufklärungspflicht gehalten, in dem durch die Anträge abgesteckten Rahmen den Sachverhalt ohne Bindung an den Parteivortrag zu ermitteln. Der Beibringungsgrundsatz und die Beweislastverteilung aus dem Zivilrecht gelten nicht.
4. Um ein unzulässiges Nachschieben von Gründen handelt es sich nicht, wenn die Anstalt im gerichtlichen Verfahren ihre ersichtlich bereits ursprünglich der Entscheidung zugrundeliegenden Erwägungen näher darlegt oder die Strafvollstreckungskammer die zum Zeitpunkt der Entscheidung bereits hinreichend mit Tatsachen abgesicherte Prognose der Einrichtung anhand von im gerichtlichen Verfahren gewonnenen weiteren Erkenntnissen bestätigt sieht.
Normenkette
StPO § 244 Abs. 2 i.V.m. StVollzG § 120 Abs. 1 S. 2; StVollzG § 115 Abs. 5; BayMRVG Art. 16
Verfahrensgang
LG Würzburg (Entscheidung vom 12.04.2024; Aktenzeichen 2 StVK 640/23) |
Tenor
1. Die Rechtsbeschwerde des Untergebrachten gegen den Beschluss der kleinen Strafvollstreckungskammer des Landgerichts Würzburg vom 12. April 2024 wird auf Kosten des Beschwerdeführers als unbegründet verworfen.
2. Der Gegenstandswert des Rechtsbeschwerdeverfahrens wird auf 1000,00 € festgesetzt.
Gründe
A.
Der Beschwerdeführer befindet sich aufgrund eines Urteils des Landgerichts Aschaffenburg vom 29. Juli 2020 in der Klinik für Forensische Psychiatrie der Beschwerdegegnerin zum Vollzug einer Unterbringung nach § 63 StGB. Mit seiner Rechtsbeschwerde wendet er sich gegen einen Beschluss der kleinen Strafvollstreckungskammer des Landgerichts Würzburg vom 12. April 2024. Die Strafvollstreckungskammer hat den Antrag des Beschwerdeführers vom 29. Juni 2023, die Zurückstufung der Lockerung zurückzunehmen und den Antragsteller neu zu bescheiden, zurückgewiesen. Nach dem Ergebnis ihrer Beweiserhebung bestünden gegen die Rechtmäßigkeit des Widerrufs der Lockerung am 15. Juni 2023 in Form einer Rückstufung keine Bedenken. Die Rechtsbeschwerde erhebt formelle und materielle Rügen. Die Generalstaatsanwaltschaft München hat beantragt, die Rechtsbeschwerde als unzulässig zu verwerfen.
B.
Das gerichtliche Verfahren auf dem Gebiet des Maßregelvollzugs richtet sich nach den §§ 109 ff. StVollzG. Die gemäß Art. 208 BayStVollzG, § 118 Abs. 1 StVollzG form- und fristgerecht eingelegte Rechtsbeschwerde ist gemäß § 116 Abs. 1 StVollzG zur Fortbildung des Rechts zu Fragen des Widerrufs einer Lockerungsentscheidung im Maßregelvollzug zulässig. Sie erweist sich allerdings als unbegründet. Die Überprüfung des angefochtenen Beschlusses auf die Sachrüge hin hat keinen durchgreifenden Rechtsfehler aufgezeigt. Die Entscheidung der Strafvollstreckungskammer ist im Ergebnis nicht zu beanstanden.
I. Die Verfahrensrügen versagen.
1. Der Senat versteht den Vortrag der Rechtsbeschwerde zu behaupteten Mängeln bei der Führung der Patientenakte, zu einer unterbliebenen Beweiserhebung zur Einschätzung des Pflegepersonals, zu Zweifeln an der Durchführung einer Konferenz und zur Gewährung von begleiteten Ausgängen nach der Rücknahme der Lockerung als Rügen der Verletzung der gerichtlichen Aufklärungspflicht (§ 244 Abs. 2 StPO i.V.m. § 120 Abs. 1 S. 2 StVollzG, Art. 208 BayStVollzG). Die Verfahrensrügen sind entgegen § 118 Abs. 2 S. 2 StVollzG nicht hinreichend ausgeführt und damit nicht zulässig erhoben.
a. Nach den genannten Vorschriften ist eine Verfahrensrüge nur dann in zulässiger Form erhoben, wenn die den Mangel enthaltenden Tatsachen angegeben werden. Diese Angaben müssen so genau und vollständig sein, dass das Rechtsbeschwerdegericht allein aufgrund der Beschwerdebegründung ohne Rückgriff auf die Akten und sonstige Unterlagen prüfen kann, ob ein Verfahrensfehler vorliegt (st. Rspr., vgl. etwa Senat, Beschlüsse vom 1. März 2024 - 203 StObWs 521/23 -, juris Rn. 6 und vom 26. Januar 2023 - 203 StObWs 502/22 -, juris Rn. 6; KG Berlin, Beschluss vom 20. April 2020 - 2 Ws 35/20 Vollz -, juris Rn. 16; Arloth/Krä, StVollzG, 5. Aufl., § 118 Rn. 4). Eine zulässige Aufklärungsrüge setzt nach der gefestigten obergerichtlichen Rechtsprechung regelmäßig voraus, dass der Beschwerdeführer bestimmte Tatsachen, deren Aufklärung das Gericht unterlassen hat, sowie die Beweismittel, derer sich der Tatrichter hätte bedienen sollen, benennt; ferner bedarf es der Darlegung, welche Umstände das Gericht...