Leitsatz (amtlich)
›1. Die Staatsanwaltschaft ist wegen Gefahr in Verzug zur Anordnung einer Wohnungsdurchsuchung regelmäßig auch dann zuständig, wenn zu befürchten ist, dass der vorübergehend festgenommene, aber mangels Haftgrunds unverzüglich zu entlassende Verdächtige vor dem Erlass der richterlichen Durchsuchungsanordnung die in der Wohnung zu vermutenden Beweismittel beseitigt haben wird.
2. In einem solchen Fall wird das Grundrecht der Unverletzlichkeit der Wohnung durch die verfassungsrechtlich gebotene Gewährleistung einer wirksamen Strafverfolgung beschränkt.‹
Gründe
I.
Das Schöffengericht bei dem Amtsgericht verurteilte den Angeklagten am 21.1.2002 wegen unerlaubten Besitzes von Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge zu einer Freiheitsstrafe von 9 Monaten, deren Vollstreckung zur Bewährung ausgesetzt wurde. Zugleich wurde er schuldig befunden, fahrlässig im Straßenverkehr unter der Wirkung eines in der Anlage zu § 24 a StVG genannten berauschenden Mittels ein Kraftfahrzeug geführt zu haben. Insoweit wurden gegen ihn eine Geldbuße von 200 DM und ein Fahrverbot von 1 Monat verhängt.
Die Berufungen der Staatsanwaltschaft und des Angeklagten verwarf das Landgericht am 6.6.2002 als unbegründet mit der Maßgabe, dass die Geldbuße auf 100 Euro festgesetzt wurde.
Mit seiner Revision beanstandet der Angeklagte das Verfahren und rügt die Verletzung sachlichen Rechts. Er wendet sich insbesondere gegen die Durchsuchung seiner Wohnung und die Verwertung der dabei aufgefundenen Beweismittel.
II.
Das zulässige Rechtsmittel (§§ 333, 341, 344, 345 StPO) hat in der Sache keinen Erfolg.
1. Die Strafkammer hat im wesentlichen folgende Feststellungen getroffen:
Der wegen unerlaubten Besitzes von Betäubungsmitteln vorgeahndete Angeklagte wurde am frühen Abend des 24.6.2001 (Sonntag) als Fahrer eines Pkw im Gemeindebereich I einer polizeilichen Verkehrskontrolle unterzogen. Dabei wurde anhand körperlicher Symptome festgestellt und vom Angeklagten auch eingeräumt, dass er kurz zuvor gegen 17.30 Uhr Cannabis konsumiert hatte. Daraufhin durchsuchten die Polizeibeamten - erfolglos - den Angeklagten und sein Fahrzeug nach weiteren Betäubungsmitteln und ließen eine Blutentnahme durchführen.
Im Anschluss an die Blutentnahme setzte sich die polizeiliche Sachbearbeiterin gegen 20.00 Uhr mit dem zuständigen Bereitschaftsstaatsanwalt in Verbindung. Dieser ordnete, ohne zuvor versucht zu haben, den zuständigen Ermittlungsrichter zu erreichen, unter Bejahung von Gefahr im Verzug die Durchsuchung der Wohnung des Angeklagten nach Betäubungsmitteln/Betäubungsmittelutensilien an. Die Vollziehung dieser Anordnung führte zur Auffindung von 96,03 g Haschisch mit einem Wirkstoffgehalt von 7,5 %, 4,4 g Haschisch mit einem Wirkstoffgehalt von 3 % sowie 4,53 g Haschisch mit einem Wirkstoffgehalt von 18 %.
2. Die Verfahrensrügen greifen nicht durch.
2.1 Die zulässig erhobene Rüge, die als Blatt 20 bei den Akten befindliche staatsanwaltschaftliche Durchsuchungsanordnung vom 24.6.2001 sei unter Verstoß gegen § 261 StPO nicht ordnungsgemäß in die Hauptverhandlung eingeführt worden, ist unbegründet. Ausweislich des Protokolls wurden "Bl. 19/21 der Akten" gemäß § 249 StPO verlesen, Bl. 20 der Akten wurde in Augenschein genommen (S. 3 des Protokolls vom 6.6.2002, Bl. 89 der Akten). Damit wurde protokolliert, dass Blatt 20 der Akten sowohl verlesen als auch in Augenschein genommen wurde. Zwei mit Schrägstrich verbundene Blattangaben bezeichnen nach eindeutiger behördlicher Praxis nicht die Einzelblätter, sondern die gesamte durch sie begrenzte Blattfolge.
2.2 Die zulässig erhobene Rüge des Verstoßes gegen § 102, § 105 Abs. 1 Satz 1 StPO erweist sich ebenfalls als nicht begründet. Die Bejahung der staatsanwaltschaftlichen Anordnungskompetenz gemäß § 105 Abs. 1 Satz 1 StPO wegen Gefahr im Verzug hält auch im Lichte neuerer verfassungsgerichtlicher Rechtsprechung (vgl. BVerfG 103, 142 = NJW 2001, 1121 = NStZ 2001, 382 = StV 2001, 207) rechtlicher Überprüfung stand.
2.2.1 Das Bundesverfassungsgericht knüpft in der genannten grundlegenden Entscheidung an die von der Rechtsprechung geprägte Begriffsbestimmung an, wonach Gefahr im Verzug vorliegt, wenn die vorherige richterliche Anordnung den Erfolg der Durchsuchung gefährden würde (BVerfG NJW 2001, 1121/1123; BGH JZ 1962, 609/610). Es unterzieht diesen Begriffsgehalt aber im Hinblick auf das gesetzgeberisch gewollte und verfassungsrechtlich gebotene Regel-Ausnahme-Verhältnis zwischen Richtervorbehalt und Eilzuständigkeit im Rahmen des § 105 Abs. 1 Satz 1 StPO einer engen, der umfassenden fachgerichtlichen Überprüfung zugänglichen Auslegung (BVerfG NJW 2001, 1121/1122 f.). Die Annahme von Gefahr im Verzug ist durch die Benennung konkreter fallbezogener, über reine Spekulationen, hypothetische Erwägungen oder auf kriminalistische Alltagserfahrungen gestützte Vermutungen hinausgehende Tatsachen zu begründen und aktenmäßig zu dokumentieren (BVerfG NJW 2001, 1121/1123 f.). Die Ermittlungsbehörden müssen, unbeschadet ...