Entscheidungsstichwort (Thema)
Bestellung eines Ergänzungspflegers. Bestimmung des zuständigen Gerichts. Zuständigkeit in Angelegenheiten elterlicher Sorge
Leitsatz (redaktionell)
Zur Abgrenzung der Zuständigkeit von Familiengericht und Vormundschaftsgericht in Angelegenheiten der elterlichen Sorge
Normenkette
ZPO § 36 Nr. 6; BGB § 1629 Abs. 2 S. 3, §§ 1671, 1796, 1909, 1915
Verfahrensgang
AG München (Aktenzeichen 715 VIII 1267/94) |
AG München (Aktenzeichen 532 F 723/94) |
Tenor
Zuständig ist das Amtsgericht – Vormundschaftsgericht – München.
Tatbestand
I.
Die Eltern des im Jahr 1983 geborenen Mädchens sind seit 1987 geschieden. Das Familiengericht Stolzenau hat die elterliche Sorge der Mutter übertragen. Diese erwirkte gegen den Vater im Verfahren wegen Kindesunterhalts beim Familiengericht ein Urteil auf Zahlung von Unterhaltsrückständen. Der Vater hat Berufung eingelegt. Das Berufungsgericht (OLG Celle) hat das Verfahren gemäß § 148 ZPO ausgesetzt und die Sache dem Amtsgericht – Vormundschaftsgericht – München, in dessen Bezirk das Mädchen und seine Mutter wohnen, zur Entscheidung darüber vorgelegt, ob der Mutter die elterliche Vertretungsbefugnis für die Unterhaltsklage des Mädchens zu entziehen und ein Ergänzungspfleger zu bestellen sei. Das Berufungsgericht sieht einen erheblichen Interessengegensatz (§§ 1796, 1629 Abs. 2 Satz 3 BGB) darin, daß die Mutter einerseits ihre Tochter bei der gerichtlichen Durchsetzung von Unterhaltsansprüchen gegen den Vater gesetzlich vertrete, andererseits jedoch aufgrund einer zwischen den Eltern getroffenen notariell beurkundeten Scheidungsfolgenvereinbarung vom 11.9.1986 dem Vater gegenüber zur Freistellung verpflichtet sei.
Der Rechtspfleger des Vormundschaftsgerichts München hat sich mit Beschluß vom 8.2.1994 für funktionell unzuständig erklärt und das Verfahren zuständigkeitshalber an das Familiengericht München „verwiesen”. Er meint, eine Pflegerbestellung mit der Rechtsfolge der Beschränkung und teilweisen Entziehung der elterlichen Sorge bedeute eine Abänderung der vom Familiengericht gemäß § 1671 Abs. 1 BGB getroffenen Sorgerechtsentscheidung. Hierfür sei nach den spezielleren Vorschriften der § 1696 Abs. 1, § 1671 Abs. 5 BGB das Familiengericht zuständig und nicht gemäß § 1629 Abs. 2 Satz 3, § 1796 BGB das Vormundschaftsgericht.
Der Familienrichter des Amtsgerichts München hat die Übernahme mit Beschluß vom 7.3.1994 abgelehnt. Er verneint seine funktionelle Zuständigkeit, da für eine Entziehung der Vertretungsbefugnis gemäß § 1796, 1629 Abs. 2 Satz 3 BGB die Zuständigkeit des Vormundschaftsgerichts gesetzlich festgelegt sei.
Die Beschlüsse des Vormundschaftsgerichts und des Familiengerichts wurden den Beteiligten jeweils bekanntgegeben. Der Rechtspfleger des Vormundschaftsgerichts hat die Sache dem Bayerischen Obersten Landesgericht zur Bestimmung des zuständigen Gerichts gemäß § 36 Nr. 6 ZPO vorgelegt.
Entscheidungsgründe
II.
1. Das Bayerische Oberste Landesgericht ist als das im Rechtszug zunächst höhere Gericht im Sinn von § 36 Nr. 6 ZPO zur Entscheidung des Zuständigkeitsstreits berufen (§ 36 Nr. 6 ZPO i.V.m. § 8 EGGVG, § 139 Abs. 1 GVG, § 7 EGZPO, Art. 11 Abs. 1 AGGVG).
a) Bei einem negativen Kompetenzkonflikt zwischen einem Vormundschaftsgericht und einem Familiengericht, die innerhalb der ordentlichen Gerichtsbarkeit unterschiedlichen Verfahrensordnungen unterliegen, ist in sinngemäßer Anwendung des § 36 Nr. 6 ZPO zu entscheiden (BGHZ 78, 108/110 = BGH NJW 1981, 126/127; BGH FamRZ 1981, 1048; Zöller/Vollkommer ZPO 18. Aufl. Rn. 29; Thomas/Putzo ZPO 18. Aufl. Rn. 22, jeweils zu § 36 ZPO), wenn der Streit – wie hier – bei einer Regelung der elterlichen Sorge darum geht, ob das Verfahren eine Familiensache im Sinn von § 23 b Abs. 1 Nr. 2 GVG, § 621 Abs. 1 Nr. 1 ZPO darstellt oder in die Zuständigkeit des Vormundschaftsgerichts (§ 35 FGG) fällt (BGH NJW RR 1991, 253/254; Keidel/Kahl FGG 13. Aufl. § 5 Rn. 5).
b) Zuständig für die Gerichtsstandsbestimmung gemäß § 36 Nr. 6 ZPO ist das im Rechtszug zunächst höhere Gericht. Das ist hier das Bayerische Oberste Landesgericht.
Für die Beurteilung, welches Gericht als das im Rechtszug zunächst höhere anzusehen ist, kommt es in erster Linie auf die Rechtsmittelzuständigkeit in der konkreten Verfahrensart an (BGHZ 104, 363/366; Thomas/Putzo Rn. 5, Zöller/Vollkommer Rn. 4, jeweils zu § 36). Ist nach den in Betracht kommenden Verfahrensordnungen kein gemeinsames Rechtsmittelgericht gegeben, dann ist der allgemeine Gerichtsaufbau nach dem Gerichtsverfassungsgesetz maßgebend (vgl. BGH NJW 1979, 2249; vgl. Thomas/Putzo § 36 Rn. 5).
Für das vorlegende Vormundschaftsgericht ist das Landgericht München I als Beschwerdegericht zuständig (§ 19 FGG, Art. 5 Nr. 14 GerOrgG), während für die vom Familiengericht entschiedenen Sorgerechtssachen (§ 621 Abs. 1 Nr. 1 ZPO, § 23 b Abs. 1 Nr. 2 GVG) die Rechtsmittelzuständigkeit des Oberlandesgerichts München (Familiensenat) gegeben ist (§ 621 a Abs. 1 Satz 1, § 621 e Abs. 1 ZPO, § 119 Abs. 1 Nr. 2 GVG, Art...