Entscheidungsstichwort (Thema)
Testamentsauslegung
Leitsatz (redaktionell)
1. Die Vorschrift des § 1923 Abs. 1 BGB macht die Erbfähigkeit allein davon abhängig, daß der Erbe den Erblasser überlebt, wenn auch nur um den Bruchteil einer Sekunde. In erbrechtlicher Hinsicht kann von einem gleichzeitigen Tod daher nur die Rede sein, wenn die untereinander erbberechtigten Personen im gleichen Bruchteil einer Sekunde, also zu einer Zeit, den Tod gefunden haben.
2. Dennoch ist stets zu prüfen, ob es der Wille der testierenden Ehegatten war, die Geltung einer für den Fall des „gleichzeitigen” Versterbens getroffenen letztwilligen Verfügung auf den der Wortbedeutung entsprechenden, aber nur selten eintretenden Fall zu beschränken, daß rechtlich gesehen keiner von ihnen des anderen Erbe werden kann, oder ob sie diesen Begriff auch für andere Fallgestaltungen gebrauchen wollten.
3. Die Auslegung kann ergeben, dass die für den Fall des gleichzeitigen Todes getroffene letztwillige Verfügung nicht auf den Ausnahmefall des zeitgleichen Versterbens beschränkt sein sollte.
Normenkette
BGB § 1923 Abs. 1
Verfahrensgang
LG München II (Beschluss vom 19.12.1995; Aktenzeichen 6 T 2644/95) |
AG Starnberg (Aktenzeichen VI 351/93) |
Tenor
I. Die weitere Beschwerde der Beteiligten zu 1 gegen den Beschluß des Landgerichts München II vom 19. Dezember 1995 wird zurückgewiesen.
II. Die Beteiligte zu 1 hat den Beteiligten zu 3 bis 5 die im Verfahren der weiteren Beschwerde entstandenen Kosten zu erstatten.
III. Der Geschäftswert des Verfahrens der weiteren Beschwerde wird auf 868 837 DM festgesetzt.
Tatbestand
I.
Der 85jährige Erblasser und seine 66jährige Ehefrau sind durch Selbsttötung aus dem Leben geschieden. Ihre Ehe war kinderlos geblieben. Der Ehemann hatte aus erster Ehe zwei Töchter, die Beteiligte zu 1 und die vorverstorbene Mutter der Beteiligten zu 2.
Die Eheleute haben mehrere letztwillige Verfügungen hinterlassen. Durch notarielles Testament vom 9.5.1958 hatte der Ehemann seine Ehefrau zur Vorerbin und seine beiden Töchter aus erster Ehe zu Nacherben eingesetzt. Ein als „Testaments-Ergänzung” bezeichnetes maschinengeschriebenes und vom Ehemann unterzeichnetes Schriftstück vom 1.6.1984 enthält Erläuterungen „zu unserem Testament vom 28.5.1982, in dem wir uns gegenseitig als Alleinerben eingesetzt haben”. Ein Testament dieses Datums wurde nicht aufgefunden. Das Schriftstück war einem vom Ehemann eigenhändig geschriebenen und unterzeichneten Testament vom 6.12.1990 beigelegt, dem die Ehefrau die Worte „Das ist auch mein letzter Wille” sowie Datum und Unterschrift hinzugefügt hatte. Das Schriftstück enthält mehrere Streichungen und Korrekturen. Es lautet:
Unser Testament.
Für den Fall unseres Todes setzen wir, der Rentner … und seine Ehefrau …, uns gegenseitig als Allein-Erben ein.
Wir wollen in … beigesetzt werden.
Im Falle unseres gleichzeitigen Todes setzen wir K. … als unsere Allein-Erbin ein.
Der nach dem Wort „wir” folgende Satzteil ist durchgestrichen und teils zwischen den Zeilen, teils am linken Rand ersetzt durch die Worte:
… (Beteiligte zu 3 bis 5) je zu 1/3 Anteil ein.
Wir bestellen hiermit … (Beteiligter zu 3) zum Testamentsvollstrecker.
Der Text fährt fort:
Die Erbin soll (korrigiert: Die Erben sollen) folgende Vermächtnisse erfüllen: …
Der folgende Abschnitt:
Da es beim Tode eines Ehepartners bei dem Überlebenden infolge hohen Alters oder Krankheit zu akutem schweren Gesundheitsverfall kommen könnte, so bestimmen wir, jeder für sich, schon jetzt K. als Alleinerbin des jeweils Überlebenden. Auch in diesem Fall soll K. obige Vermächtnisse erfüllen.
ist mit je einem waagerechten Strich oberhalb der Anfangszeile und unterhalb der Schlußzeile, die durch einen quer über den Text verlaufenden Schrägstrich verbunden sind, durchgestrichen.
Eine weitere, vom Ehemann eigenhändig geschriebene und unterzeichnete sowie von der Ehefrau mitunterzeichnete letztwillige Verfügung trägt das Datum 4.10.1992 und lautet:
Unser Testament.
Für den Fall unseres Todes setzen wir, … und seine Ehefrau …, uns gegenseitig als Alleinerben ein.
Wir wollen in … beigesetzt werden. Im Falle unseres gleichzeitigen Todes setzen wir … (Beteiligter zu 3), … (Beteiligte zu 4) … (Beteiligte zu 5), zu je einem Drittel als unsere Erben ein. Wir bestellen hiermit … (Beteiligter zu 3) zum Testamentsvollstrecker.
Die Erben sollen folgende Vermächtnisse erfüllen:
…
Von diesem Testament existieren zwei Urschriften. Eine hat … (Beteiligter zu 3), die andere liegt bei der Bank in …
Die Ehefrau hat handschriftlich angefügt:
Das ist auch mein letzter Wille.
… 4. Oktober 1992
Am 27.5.1993 wurden die Eheleute im Keller ihres Wohnhauses mit Kopfschüssen aufgefunden. Die Ehefrau verstarb um 16.00 Uhr, der Tod des Ehemanns trat um 16.30 Uhr ein. Anhaltspunkte für eine Beteiligung Dritter sind nicht festgestellt worden.
Beim Nachlaßgericht haben die Beteiligten zu 1 und 2 die Ansicht vertreten, ihr Vater bzw. Großvater sei aufgrund des Testaments vom 4.10.1992 Alleinerbe seiner Ehefrau geworden und aufgrund g...