Entscheidungsstichwort (Thema)

Erbscheinsverfahren. Unwirksamkeit des Erbvertrages wegen Eheauflösung

 

Leitsatz (redaktionell)

1. Wird eine Verfügung nicht ausdrücklich als vertragsmäßig bezeichnet, so ist durch Auslegung (§§ 133, 157 BGB) zu ermitteln, welche rechtliche Bedeutung ihr zukommt. Zwar folgt allein aus dem Umstand, daß eine Verfügung in einem Erbvertrag enthalten ist, noch nicht ihre Vertragsmäßigkeit. Hierin liegt aber ein Anzeichen dafür, daß sie vertragsmäßig sein solle.

2. Enthält eine letztwillige Verfügung eine Zuwendung an den Erbvertragspartner oder an einen diesem nahestehenden, insbesondere mit ihm verwandten Dritten, so ist sie in aller Regel bindend und daher vertragsmäßig gewollt.

3. Die Anfechtungsfrist beginnt im Fall des Motivirrtums (§ 2078 Abs. 2 BGB) in dem Zeitpunkt, in dem der Erblasser Kenntnis vom Anfechtungsgrund erlangt.

 

Normenkette

BGB §§ 2077-2078, 2278, 2283

 

Verfahrensgang

LG München II (Beschluss vom 29.01.1988; Aktenzeichen 6 T 1152/87)

AG Wolfratshausen (Aktenzeichen VI 185/87)

 

Tenor

I. Die weitere Beschwerde der Beteiligten zu 1 gegen den Beschluß des Landgerichts München II vom 29. Januar 1988 wird zurückgewiesen.

II. Die Beteiligte zu 1 hat die dem Beteiligten zu 2 im Verfahren der weiteren Beschwerde entstandenen Kosten zu erstatten.

III. Der Geschäftswert für das Verfahren der weiteren Beschwerde wird auf 350.000 DM festgesetzt.

 

Tatbestand

I.

… 1987 verstarb der zuletzt in einem Altenheim … wohnhafte verwitwete Erblasser im Alter von 85 Jahren. Seine zweite Ehefrau, mit der er seit … 1960 verheiratet war, ist … 1986 im 82. Lebensjahr verstorben. Weder aus dieser, noch aus der ersten Ehe des Erblassers sind Kinder hervorgegangen. Der Beteiligte zu 2 ist ein Sohn aus der ersten, durch Scheidung aufgelösten Ehe der Ehefrau, die Beteiligte zu 1 ein Adoptivkind der ebenfalls aus dieser Ehe stammenden Tochter.

Der Wert des Reinnachlasses wird von den Beteiligten übereinstimmend mit rund 350.000 DM angegeben.

Der Erblasser und seine zweite Ehefrau haben mit notariellem Ehe- und Erbvertrag vom 6.5.1963 Gütergemeinschaft vereinbart, sich gegenseitig als nicht befreite Vorerben eingesetzt und weitere erbrechtliche Verfügungen getroffen. Diese haben sie mit notariell beurkundetem Nachtrag vom 7.3.1966 geändert. In einem weiteren notariellen Erbvertrag vom 2.4.1971 haben die Ehegatten unter anderem folgendes vereinbart:

II.

Mit diesamtlichen Ehe- und Erbvertrag vom 6. Mai 63 haben wir die Gütergemeinschaft vereinbart und uns gegenseitig zum Erben eingesetzt. Dies erhalten wir aufrecht. Alle anderen erbrechtlichen Bestimmungen heben wir auf und bestimmen stattdessen, was folgt: Zum Erben des Letztversterbenden von uns ernennen wir den Sohn der Ehefrau (= Beteiligter zu 2) Ersatzweise dessen eheliche Abkömmlinge.

III.

Für den Todesfall des Erstversterbenden wird der Längerlebende der Ehegatten … Erbe. Für diesen Fall jedoch wird Nacherbfolge angeordnet. Zum Nacherben ernennen wir wiederum … (= Beteiligter zu 2).

Ersatzerben ernennen wir nicht.

Im April 1985 beantragte der Erblasser beim Amtsgericht – Familiengericht … die Scheidung seiner Ehe und führte zur Begründung aus, er lebe seit Juli 1980 innerhalb der Ehewohnung von seiner Ehefrau getrennt. Am 2.9.1985 errichtete er ein notarielles Testament, in dem er erklärte, er betrachte im Hinblick auf das anhängige Scheidungsverfahren die Erbverträge vom 6.5.1963, 7.3.1966 und 2.4.1971 als gegenstandslos und nichtig. Gleiches gelte für die in diesen enthaltenen letztwilligen Verfügungen zugunsten des Beteiligten zu 2. Vorsorglich widerrufe er seine früheren Verfügungen von Todes wegen. Als alleinige und ausschließliche Erbin setzte der Erblasser die … 1972 geborene und von seiner Stieftochter adoptierte Beteiligte zu 1 ein. Inzwischen war im Scheidungsverfahren Beweis erhoben worden. In einem Gutachten vom 1.12.1986 kam der Landgerichtsarzt zu dem Ergebnis, eine Scheidung stelle für die inzwischen in einem Pflegeheim … untergebrachte Ehefrau keine „schwere Härte” dar. Am 20.12.1986 verstarb die Ehefrau des Erblassers, so daß das Scheidungsverfahren nicht mehr abgeschlossen werden konnte. Bis zu diesem Zeitpunkt hatte sie dem Scheidungsantrag des Ehemanns weder zugestimmt noch selbst einen solchen gestellt.

Zu notarieller Urkunde vom 16.1.1987 erklärte der Erblasser erneut, durch den Scheidungsantrag seien die Erbverträge vom 6.5.1963, 7.3.1966 und 2.4.1971 unwirksam geworden und zwar auch insoweit, als er in diesen dritte Personen bedacht habe. Vorsorglich fechte er diese Verträge gemäß § 2281 BGB an. Die Erbeinsetzungen seien nur deshalb erfolgt, weil er davon ausgegangen sei, die Ehe würde Bestand haben. Die Anfechtungserklärung werde gegenüber dem Amtsgericht München als dem für die verstorbene Ehefrau zuständigen Nachlaßgericht abgegeben. Eine Ausfertigung dieser Urkunde ist beim Amtsgericht München am 23.1.1987 und beim Amtsgericht Wolfratshausen am 3.2.1987 eingegangen.

Die Beteiligte zu 1 beantragte mit Schriftsatz vom 8.4.1987, ihr eine...

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