Leitsatz (amtlich)
1. Ein Strafgefangener hat keinen Anspruch auf bestimmte Behandlungsmaßnahmen oder die Hinzuziehung eines bestimmten Facharztes.
2. Der Anstaltsarzt hat im Hinblick auf die Notwendigkeit einer weiteren Behandlung durch einen Facharzt eine an den Regeln der Kunst ausgerichtete Ermessensentscheidung nach Art. 58 Abs. 1 Satz 1 BayStVollzG i.V.m. Art. 60 BayStVollzG zu treffen.
3. Die Strafvollstreckungskammer ist bei ärztlichen Anordnungen lediglich befugt zu überprüfen, ob der Arzt sein Ermessen nach Art. 58 Abs. 1 Satz 1 BayStVollzG i.V.m. Art. 60 BayStVollzG rechtmäßig ausgeübt hat.
4. Die Stellungnahme des Anstaltsarztes ist nicht bloßer Parteivortrag der Vollzugsbehörde. Sie genügt namentlich dann dem Grundsatz ausreichender Sachaufklärung, wenn der Anstaltsarzt durch Mitteilung fachärztlicher Befunde dem Gericht die nötige Sachkunde vermittelt.
Normenkette
BayStVollzG Art. 58 Abs. 1 S. 1, Art. 60 Abs. 1 S. 1
Verfahrensgang
LG Augsburg (Entscheidung vom 22.08.2021; Aktenzeichen 2 NöStVK 487/21) |
Tenor
I.
Die Rechtsbeschwerde des Strafgefangenen gegen den Beschluss der auswärtigen Strafvollstreckungskammer des Landgerichts Augsburg bei dem Amtsgericht Nördlingen vom 22.08.2021 wird aus den zutreffenden Gründen der angefochtenen Entscheidung auf seine Kosten (§§ 121 Abs. 2 Satz 1 StVollzG i.V.m. Art. 208 BayStVollzG) unter Festsetzung des Beschwerdewertes auf 500,00 Euro (§§ 60, 52 GKG) einstimmig als offensichtlich unbegründet verworfen (§ 119 Abs. 3 StVollzG i.V.m. Art. 208 BayStVollzG).
II.
Der Antrag auf Bewilligung von Prozesskostenhilfe wird zurückgewiesen, da die Rechtsverfolgung keine Aussicht auf Erfolg hat (§§ 120 Abs. 2 StVollzG, 114 Abs. 1 Satz 1 ZPO i.V.m. Art. 208 BayStVollzG).
Gründe
I.
Der Strafgefangene begehrt die Ausführung zur Durchführung einer Untersuchung seines Rückens durch einen externen Facharzt für Orthopädie.
II.
Dem Strafgefangenen steht ein solcher Anspruch nicht zu. Die ablehnende Entscheidung der Justizvollzugsanstalt Kaisheim findet ihre Rechtfertigung in Art. 58 Abs. 1 Satz 1 BayStVollzG i.V.m. Art. 60 BayStVollzG.
1. Zum Sachverhalt:
Der Anstaltsarzt stützt seine ausführliche und nachvollziehbare Beurteilung in seiner Stellungnahme (wiedergegeben im Schreiben der Justizvollzugsanstalt Kaisheim vom 20.07.2021) auf eigene Feststellungen sowie auf Untersuchungen des Strafgefangenen durch einen hinzugezogenen Facharzt für Orthopädie, dem der Strafgefangene in der Justizvollzugsanstalt insgesamt dreimal vorgestellt wurde. Danach habe der Facharzt für Orthopädie eine MRT-Untersuchung veranlasst, die weitgehend unauffällig gewesen sei, und Schmerzbeschwerden diagnostiziert, die weitere orthopädische Maßnahmen nicht indiziert hätten. Der Anstaltsarzt habe dem Strafgefangenen auch in mehreren späteren Gesprächen angeboten, ihn wieder diesem Facharzt für Orthopädie vorzustellen, was der Strafgefangene aber abgelehnt und die Ausführung zu einem anderen Facharzt für Orthopädie verlangt habe.
2. Zur rechtlichen Würdigung:
a) Nach Art. 60 Abs. 1 Satz 1 BayStVollzG haben Strafgefangene Anspruch auf Krankenbehandlung, wenn sie notwendig ist, um eine Krankheit zu erkennen, zu heilen, ihre Verschlimmerung zu verhüten oder Krankheitsbeschwerden zu lindern. Der Strafgefangene hat dabei aber keinen Anspruch auf bestimmte Behandlungsmaßnahmen oder die Hinzuziehung eines bestimmten Facharztes (allgemeine Meinung; vgl. nur BeckOK Strafvollzug Bayern/Arloth, 15. Ed. 01.07.2021, BayStVollzG Art. 58 Rn. 1 sowie Art. 60 Rn. 1 und Rn. 4, jeweils mit umfangreichen Nachweisen aus Rechtsprechung und Literatur).
Der Anstaltsarzt hat im Hinblick auf die Notwendigkeit einer weiteren Behandlung durch einen Facharzt eine an den Regeln der Kunst ausgerichtete Ermessensentscheidung nach Art. 58 Abs. 1 Satz 1 BayStVollzG i.V.m. Art. 60 BayStVollzG zu treffen. Es liegt nämlich gerade in seiner Kompetenz, die eigenen Befunderhebungen und diejenigen durch den hinzugezogenen Facharzt für Orthopädie in ihrer Gesamtheit aus ärztlicher Sicht zu bewerten und die richtigen Schlüsse daraus zu ziehen. Die Strafvollstreckungskammer ist bei ärztlichen Anordnungen - verfassungsrechtlich unbedenklich (BVerfG, Beschluss vom 10.10.2012, Az.: 2 BvR 922/11, NStZ 2013, 168, juris Rn. 19; Beschluss vom 15.11.2012, Az.: 2 BvR 683/11, NStZ-RR 2013, 224, juris Rn. 3; Beschluss vom 05.05.2014, Az.: 2 BvR 1823/13, juris Rn. 22) - lediglich befugt zu überprüfen, ob der Arzt sein Ermessen nach Art. 58 Abs. 1 Satz 1 BayStVollzG i.V.m. Art. 60 BayStVollzG rechtmäßig ausgeübt hat (allg. Meinung; vgl. BayObLG, Beschlüsse vom 28.06.2021, Az.: 203 StObWs 222/21, und vom 29.07.2021, Az.: 203 StObWs 195/222; BeckOK Strafvollzug Bayern/Arloth, 15. Ed. 01.07.2021, BayStVollzG Art. 58 Rn. 13, mit umfangreichen Nachweisen aus Rechtsprechung und Literatur).
b) Da der Anstaltsarzt seine Stellungnahme aufgrund einer tragfähigen Tatsachengrundlage abgegeben und seine Folgerungen schlüssig dargestellt hat, ist ein Ermessensfehlgebrauch nicht ersichtlic...