Entscheidungsstichwort (Thema)

Revision. Verfahrensrüge. Sachrüge. Aufhebung. Verwerfungsurteil. Berufung. Berufungsverwerfung. Berufungshauptverhandlung. Berufungskammer. Vorsitzender. Ausbleiben. Fernbleiben. Termin. Terminstag. Erscheinungspflicht. Entschuldigung. Erkrankung. Krankheit. Schwangerschaft. Schwangerschaftserbrechen. ärztlich. Arztpraxis. Praxisanschrift. Frauenarzt. Bescheinigung. Attest. Original. Kopie. E-Mail. Anlage. Authentizität. Bettruhe. Freibeweis. Freibeweisverfahren. freibeweislich. Auskunft. Anrufbeantworter. Beiakten. Urkundenfälschung. Schlüssigkeit. Wiedereinsetzung. Rügevorbringen. Rügebegründung. Auslegung. Auslegungsfähigkeit. Umdeutung. Irrtum. Falschbezeichnung. Rechtsgedanke. Zweifel. Gehör. Gehörsverstoß. Zumutbarkeit. Pflichtverletzung. Glaubhaftmachung. Aufklärungspflicht. Fürsorgepflicht. Unglaubwürdigkeit. Unbrauchbarkeit. Nachforschungspflicht. Beschleunigungsgebot. Verfahrenshindernis. Ausnahmecharakter. Berufungsverwerfung gemäß § 329 Abs. 1 Satz 1 StPO wegen nur per E-Mail übermittelter ärztlicher Bescheinigung bei Verdacht auf Urkundenfälschung

 

Leitsatz (amtlich)

1. Ärztliche Bescheinigungen und Atteste haben so lange als genügende Entschuldigung zu gelten, als nicht deren Unglaubwürdigkeit oder Unbrauchbarkeit feststeht; dies gilt auch dann, wenn sie dem Gericht lediglich als Kopie oder in digitaler Form per E-Mail übermittelt werden (Anschluss u.a. von BayObLG, Beschl. v. 12.02.2001 - 2 StRR 17/01 = BayObLGSt 2001, 14/16; Beschl. v. 11.05.1998 - 1 ObOWi 169/98 = BayObLGSt 1998, 79/82 = StraFo 1999, 26 = NJW 1999, 879 ).

2. Etwas anderes kann nur gelten, wenn feststeht, dass die ärztliche Bescheinigung als unglaubwürdig oder unbrauchbar anzusehen oder das Entschuldigungsvorbringen aus der Luft gegriffen oder sonst ganz offensichtlich als ungeeignet anzusehen ist, das Ausbleiben zu entschuldigen. Hierfür ist nicht ausreichend, dass dem Angeklagten aufgrund von unbestätigten Feststellungen einer Anklage in einem anderen Verfahren in anderem Zusammenhang und zu anderen Zeiträumen u.a. Verfälschungen ärztlicher Bescheinigungen zur Last liegen (u.a. Anschluss an und Fortführung von BayObLG, Beschl. v. 12.02.2001 - 2 StRR 17/01 = BayObLGSt 2001, 14/16).

 

Normenkette

GG Art. 103 Abs. 1; StPO § 154 Abs. 2, § 329 Abs. 1 S. 1, §§ 300, 329 Abs. 7, §§ 333, 344 Abs. 2 S. 2, § 349 Abs. 2, 4, §§ 353, 354 Abs. 2 S. 1

 

Tenor

  • I.

    Auf die Revision der Angeklagten wird das Urteil des Landgerichts vom 31. Oktober 2019 mit den zugehörigen Feststellungen aufgehoben.

  • II.

    Die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels, an eine andere Strafkammer des Landgerichts zurückverwiesen.

 

Gründe

I.

Das Amtsgericht hat die Angeklagte am 19.12.2018 wegen Erschleichens von Leistungen in fünf Fällen zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von fünf Monaten verurteilt. Ihre gegen dieses Urteil eingelegte Berufung hat das Landgericht mit dem angegriffenen Urteil vom 31.10.2019 in Anwesenheit des Verteidigers der Angeklagten ohne Verhandlung zur Sache nach § 329 Abs. 1 Satz 1 StPO verworfen, weil die ordnungsgemäß zur Hauptverhandlung geladene Angeklagte zu dieser weder persönlich erschienen noch durch einen mit schriftlicher Vertretungsvollmacht versehenen Verteidiger vertreten und ihr Ausbleiben auch nicht genügend entschuldigt sei. Zwar habe die Angeklagte am Terminstag um 12.33 Uhr per E-Mail ein Schreiben vom Vortag und ein ebenfalls auf den 30.10.2019 datiertes ärztliches Attest jeweils in Kopie übersandt und in dem vorgenannten Schreiben unter Bezugnahme auf das beigefügte Attest mitgeteilt, dass sie derzeit nicht zur Verhandlung erscheinen könne. Gemäß dem übermittelten und verlesenen Attest der in ihm mit vollständig wiedergegebener Praxisanschrift namentlich benannten beiden Frauenärzte werde testiert, dass bei der Angeklagten eine Schwangerschaft bestehe und die Angeklagte bedingt durch diese an einer ,Hyperemesis gravidarum' leide; "dringende Bettruhe" sei "bereits am 02.10.2019 verordnet" worden. Zur Klärung, "ob das lediglich in Kopie vorliegende Attest vom 30.10.2019" tatsächlich von den in ihm benannten Frauenärzten ausgestellt worden sei, in welcher Schwangerschaftswoche sich die Angeklagte befinde, in welchem Ausmaß und mit welcher konkreten Symptomatik das attestierte übermäßige Schwangerschaftserbrechen bestehe und ob der Angeklagten deswegen eine Teilnahme an der Hauptverhandlung (tatsächlich) nicht möglich bzw. unzumutbar sei, sei durch den Vorsitzenden in der Berufungshauptverhandlung im Freibeweisverfahren versucht worden, die im Attest benannten Frauenärzte telefonisch zu erreichen. Allerdings habe sich nur ein Anrufbeantworter mit der Auskunft gemeldet, dass die Gemeinschaftspraxis zurzeit nicht besetzt sei und die Öffnungszeiten am Sitzungstag (31.10.2019) von 8.00 Uhr bis 12.00 Uhr sowie von 15.00 Uhr bis 18.00 Uhr und die telefonischen Sprechzeiten von 8.30 Uhr bis 12.00 Uhr und von 15.30 Uhr bis 17.30 Uhr seien.

Das Landgericht wertet das übermittelt...

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