Leitsatz (amtlich)
›Die potentielle Gefährdung des Lebensbedarfs eines Unterhaltsberechtigten entfällt nicht deshalb, weil der Verpflichtete im Rahmen seiner Leistungsfähigkeit nur einen sehr geringen Teilbetrag zu zahlen in der Lage ist.‹
Tatbestand
Die Staatsanwaltschaft legte dem Angeklagten ein Vergehen der Unterhaltspflichtverletzung zur Last, weil er trotz teilweiser Leistungsfähigkeit als Vater seines am 7.3.1994 ehelich geborenen Sohnes K. diesem seit 1.9.1994 keinen Unterhalt geleistet habe, so daß das Kind auf anderweitige Unterstützung angewiesen gewesen sei.
Durch Beschluß vom 28.10.1997 stellte das Amtsgericht das Verfahren gemäß § 154 Abs. 2, § 154 a Abs. 2 StPO "hinsichtlich der vor dem 22.5.1996 liegenden Taten" ein. Am 28.10.1997 verurteilte das Amtsgericht den Angeklagten wegen Unterhaltspflichtverletzung, begangen von Januar bis Juni 1997, zu einer sechsmonatigen Freiheitsstrafe, deren Vollstreckung nicht zur Bewährung ausgesetzt wurde.
Auf die Berufung des Angeklagten hob das Landgericht am 3.3.1998 dieses Urteil auf und sprach den Angeklagten "vom Vorwurf der Verletzung der Unterhaltspflicht während des in der Anklage beschriebenen Zeitraums" frei.
Nach den Feststellungen des Landgerichts war der Angeklagte in der Zeit vom Januar bis Juni 1997 zur Zahlung eines monatlichen Unterhaltsbetrags von 17,86 DM an seinen Sohn K. verpflichtet und in der Lage gewesen. Doch sei für diesen Zeitraum durch Vorenthaltung eines so geringen Betrags K.'s Lebensbedarf nicht gefährdet gewesen. Dieser Betrag hätte "nicht nennenswert" zu K.'s Unterhalt beitragen können, es hätten vielmehr gleichwohl Unterhaltszahlungen von anderer Seite erfolgen müssen, um diesen zu sichern. Daher habe das Ausbleiben dieser Zahlung auch nicht dazu führen können, daß K.'s Lebensunterhalt gefährdet gewesen wäre.
Die auf die Verletzung sachlichen Rechts gestützte Revision der Staatsanwaltschaft hatte Erfolg.
Entscheidungsgründe
Das Landgericht hat die Rechtsnorm des § 170 b Abs. 1 StGB a. F. (seit 1.4.1998 gleichlautend § 170 Abs. 1 StGB i. d. F. des 6 StrRG vom 26.1.1998) nicht richtig angewendet (§ 337 StPO).
1. Ein Sachmangel liegt schon insoweit vor, als das Landgericht keine ausreichenden Feststellungen zu dem ungeschriebenen Tatbestandsmerkmal Leistungsfähigkeit (BayObLGSt 1988, 91) getroffen und sich auch nicht geäußert hat, daß insoweit Feststellungen nicht möglich gewesen wären. Die Verletzung der bürgerlichrechtlichen Verpflichtung zur Zahlung des gesetzlich geschuldeten Unterhalts vermag eine Strafbarkeit nach § 170 b StGB a. F. nur dann zu begründen, wenn der Täter zumindest zu Teilleistungen imstande war, ohne seine eigene Existenz zu gefährden.
Um die Leistungspflicht bei unzureichendem Einkommen des Unterhaltspflichtigen feststellen zu können, ist es unerläßlich, auch die Einkommens- und Vermögensverhältnisse der Mutter zu klären (BayObLGSt 1990, 81). Hiervon hängt nämlich die Frage ab, ob den Angeklagten die sog. "verschärfte Unterhaltspflicht" (kleiner Selbstbehalt) trifft (§ 1603 Abs. 2 Satz 1 BGB).
Von Auswirkung können auch die Unterhaltsverpflichtungen sein, die der Angeklagte gegenüber seinen sechs weiteren Kindern hat. Auch insoweit äußert sich das Landgericht weder zu deren noch deren Mütter Vermögens- und Einkommensverhältnissen.
2. Durchgreifende rechtliche Bedenken bestehen aber weiter gegen die Annahme des Berufungsgerichts, bei einer im Rahmen der Leistungsfähigkeit verbleibenden Zahlungspflicht von 17,86 DM gegenüber dem Kind K. sei im Hinblick auf die geringe Höhe des nicht gezahlten Betrags der Lebensbedarf des Kindes nicht gefährdet gewesen.
Auch wenn die dem Unterhaltspflichtigen mögliche Leistung zur Deckung nur eines geringen Teils des Lebensbedarfs des Unterhaltsberechtigten ausreicht, ist bei Unterlassen der Zahlung eine potentielle Gefährdung des Lebensbedarfs gegeben.
Die Frage der Tatbestandserfüllung ist hierbei nicht Erwägungen zugängig, eine dem Verpflichteten mögliche Teilleistung sei wegen nur geringer Höhe nicht erheblich. Es kann dahinstehen, ob eine Gefährdung des Lebensbedarfs entfällt, wenn ein Unterhaltsverpflichteter bei der Zahlung des Unterhalts einen gering zu bewertenden Teil schuldig bleibt. Im vorliegenden Fall ist nämlich nicht die tatsächliche Gefährdung des Lebensbedarfs, sondern das alternative Tatbestandsmerkmal zu prüfen, ob der Lebensbedarf des Kindes ohne die Hilfe Dritter gefährdet gewesen wäre. Die potentielle Gefährdung des Lebensbedarfs (LK/Dippel StGB 10. Aufl. § 170 b Rn. 59 und 60), die für den Straftatbestand des § 170 b StGB a. F. (gleichlautend § 170 StGB n. F.) in der Praxis zufolge der sozialrechtlichen Hilfestellung der öffentlichen Hand ganz, im Vordergrund steht, ist aber in dem Umfang anzusetzen, in dem öffentliche Hilfe - hier durch das Kreisjugendamt - anstelle des Beitrags des Unterhaltsverpflichteten zur Deckung des Lebensbedarfs des Berechtigten (§ 1610 Abs. 2 BGB) geleistet wird.
Die Auffassung des Landgerichts findet schließlich in der Entscheidung des...