Leitsatz (amtlich)
"Ein Verstoß gegen das Beschränkungsgebot in Art. 34 des Bayerischen Heilberufe-Kammergesetzes (HKaG) führt nicht zur (Teil-)Nichtigkeit des Behandlungsvertrags nach § 134 BGB. Ein Arzt kann auch fachgebietsfremde Leistungen unter den Voraussetzungen der § 1 Abs. 2 Satz 1 und § 4 Abs. 2 Satz 1 der Gebührenordnung für Ärzte (GOÄ) abrechnen."
Verfahrensgang
OLG Nürnberg (Aktenzeichen 5 U 634/18) |
LG Regensburg (Aktenzeichen 4 O 2233/16) |
Tenor
Die Revision gegen das Urteil des Oberlandesgerichts Nürnberg vom 9. März 2020, 5 U 634/18, wird auf Kosten der Klägerin zurückgewiesen.
Von Rechts wegen
Tatbestand
Die Klägerin, ein privater Krankenversicherer, begehrt aus übergegangenem Recht ihrer Versicherungsnehmer Rückzahlung ärztlicher Honorare, die der Beklagte, ein in R. niedergelassener Facharzt für Orthopädie, Chirurgie und Unfallchirurgie, für von ihm in den Jahren 2011 bis 2016 auf der Grundlage eines Kooperationsvertrags mit einem Krankenhaus erbrachte Magnetresonanztomografie-Untersuchungen (MRT-Untersuchungen) abgerechnet hat. Eine - fachgebundene - Zusatz-Weiterbildung Magnetresonanztomografie, die mit der Weiterbildungsordnung für die Ärzte Bayerns vom 24. April 2004 (WBO 2004) eingeführt worden ist, hat der Beklagte nicht absolviert.
Die Klägerin ist der Auffassung, der Beklagte habe die Untersuchungen in unzulässiger Weise außerhalb seines Fachgebiets vorgenommen. Die Behandlungsverträge seien wegen Verstoßes gegen Art. 34 des Bayerischen Gesetzes über die Berufsausübung, die Berufsvertretungen und die Berufsgerichtsbarkeit der Ärzte, Zahnärzte, Tierärzte, Apotheker sowie der Psychologischen Psychotherapeuten und der Kinder- und Jugendlichenpsychotherapeuten (Heilberufe-Kammergesetzes - HKaG) nach § 134 BGB nichtig. Es liege auch ein Verstoß gegen § 1 Abs. 2 der Gebührenordnung für Ärzte (GOÄ) vor, da fachgebietsfremde Leistungen nicht nach den Regeln der ärztlichen Kunst für eine medizinisch notwendige ärztliche Versorgung erforderlich seien.
Nach Ansicht des Beklagten sind MRT-Untersuchungen für Orthopäden nicht fachfremd. Die Bayerische Landesärztekammer habe bestätigt, dass ein Orthopäde in den Grenzen seines Gebiets Magnetresonanztomografie anwenden dürfe.
Das Landgericht Regensburg hat die Klage abgewiesen.
Die Berufung der Klägerin hat das Oberlandesgericht Nürnberg mit Urteil vom 9. März 2020, 5 U 634/18, zurückgewiesen. Das Berufungsgericht hat die Revision nach § 543 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 ZPO wegen grundsätzlicher Bedeutung der "Auslegung des § 2 WBO 2004 hinsichtlich der für die Gebietskonformität fachärztlicher Tätigkeit maßgebenden Kriterien" zugelassen, ohne zunächst zu bestimmen, ob der Bundesgerichtshof oder das Bayerische Oberste Landesgericht für die Verhandlung und Entscheidung über die Revision zuständig ist.
Die Klägerin hat daraufhin die Revision, mit der sie ihr Klagebegehren weiterverfolgt, bei beiden Gerichten eingelegt und begründet. Der Beklagte beantragt die Zurückweisung der Revision.
Nachdem das Oberlandesgericht Nürnberg mit Beschluss vom 29. Dezember 2020 das Urteil vom 9. März 2020 gemäß § 319 ZPO im Tenor dahin berichtigt hatte, dass die Revision zum Bayerischen Obersten Landesgericht zugelassen werde, hat sich der Bundesgerichtshof mit Beschluss vom 18. Februar 2021 (III ZR 79/20, NJW-RR 2021, 507) für unzuständig erklärt und die Sache an das Bayerische Oberste Landesgericht zur Verhandlung und Entscheidung über die Revision der Klägerin abgegeben.
Entscheidungsgründe
Die aufgrund ihrer unbeschränkten Zulassung (vgl. BGH, Urt. v. 27. Juli 2021, II ZR 164/20, juris Rn. 15) statthafte und auch sonst zulässige Revision der Klägerin ist nicht begründet. Es liegt nur ein einheitliches Rechtsmittel vor, über das - nach bindender nachträglicher Zuständigkeitsbestimmung des Berufungsgerichts (§ 7 Abs. 1 EGZPO) und Zusammenführung gemäß Beschluss des Bundesgerichtshofs vom 18. Februar 2021 - durch das Bayerische Oberste Landesgericht zu entscheiden ist (vgl. BGH NJW-RR 2021, 507 Rn. 9).
I. Das Berufungsgericht, dessen Urteil in juris und unter BeckRS 2020, 21724 veröffentlicht ist, hat zur Begründung seiner Entscheidung im Wesentlichen ausgeführt, nach Art. 34 Abs. 1 HKaG dürfe, wer eine Gebietsbezeichnung i. S. d. Art. 27 HKaG führe, grundsätzlich nur in dem betreffenden Gebiet tätig sein. Inhalt und Umfang der "Gebiete" i. S. d. Art. 34 Abs. 1 HKaG seien nach Art. 35 Abs. 1, Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 HKaG in einer von der Landesärztekammer mit Genehmigung des Staatsministeriums zu erlassenden Weiterbildungsordnung zu regeln. Nach der derzeit geltenden und auch zum Zeitpunkt der streitgegenständlichen Behandlungen bereits geltenden Weiterbildungsordnung für die Ärzte Bayerns (WBO 2004) könne die Durchführung von MRT-Untersuchungen durch den Beklagten nicht als fachfremd eingestuft werden. Nach § 2 Abs. 2 WBO 2004 werde das Gebiet als ein definierter Teil einer Fachrichtung der Medizin beschrieben; die Gebietsdefinition bestimme die Grenzen für die Ausübung der fachärztlichen...