Leitsatz (amtlich)
Ein medizinisches Instrument, geführt von einem approbierten Arzt im Rahmen eines indizierten Eingriffs, kann je nach den Umständen des Einzelfalls ein gefährliches Werkzeug im Sinne von § 224 Abs. 1 Nr. 2 StGB sein.
Normenkette
StGB § 224 Abs. 1 Nr. 2
Verfahrensgang
AG Kempten (Entscheidung vom 24.01.2019) |
LG Kempten (Entscheidung vom 03.07.2023; Aktenzeichen 4 Ns 111 Js 10508/14 (4)) |
Tenor
I. Die Revision des Angeklagten gegen das Urteil des Landgerichts Kempten (Allgäu) vom 3. Juli 2023 wird verworfen.
II. Der Beschwerdeführer hat die Kosten seines Rechtsmittels zu tragen.
III. Auf die Revision der Staatsanwaltschaft wird das Urteil des Landgerichts Kempten vom 3. Juli 2023 a) im Schuldspruch dahingehend abgeändert, dass der Angeklagte wegen gefährlicher Körperverletzung in elf Fällen sowie schwerer Körperverletzung verurteilt wird, b) im Rechtsfolgenausspruch mit den dazugehörigen Feststellungen aufgehoben.
IV. Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels der Staatsanwaltschaft, an eine andere Strafkammer des Landgerichts Kempten (Allgäu) zurückverwiesen.
Gründe
I.
Das Amtsgericht Kempten (Allgäu) verurteilte den Angeklagten am 24. Januar 2019 wegen schwerer Körperverletzung in zwei tatmehrheitlichen Fällen und vorsätzlicher Körperverletzung in sieben weiteren Fällen zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von drei Jahren. Gegen dieses Urteil legten sowohl die Staatsanwaltschaft als auch der Angeklagte Berufung ein. Mit Urteil vom 8. Oktober 2020 änderte das Landgericht Kempten (Allgäu) auf die Berufung des Angeklagten und der Staatsanwaltschaft das Urteil des Amtsgerichts Kempten (Allgäu) vom 24. Januar 2019 ab und fasste es neu. Der Angeklagte wurde nunmehr wegen fahrlässiger Körperverletzung in neun Fällen zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von neun Monaten verurteilt, deren Vollstreckung zur Bewährung ausgesetzt wurde.
Gegen dieses Urteil legten sowohl der Angeklagte als auch die Staatsanwaltschaft Revision ein. Mit Urteil des Bayerischen Obersten Landesgerichts vom 29. Juni 2021 wurde die Revision des Angeklagten als unbegründet verworfen; auf die Revision der Staatsanwaltschaft wurde das vorbezeichnete Urteil mit den Feststellungen aufgehoben und die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung an eine andere Strafkammer des Landgerichts Kempten (Allgäu) zurückverwiesen.
Mit Urteil des Landgerichts Kempten (Allgäu) vom 3. Juli 2023 wurde das Urteil des Amtsgerichts Kempten vom 24. Januar 2019 auf die Berufungen des Angeklagten und der Staatsanwaltschaft aufgehoben. Der Angeklagte wurde wegen vorsätzlicher Körperverletzung in elf Fällen in Tatmehrheit mit schwerer Körperverletzung zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von einem Jahr zehn Monaten verurteilt. Die Vollstreckung der Gesamtfreiheitsstrafe wurde zur Bewährung ausgesetzt. Im Übrigen wurden die Berufungen des Angeklagten und der Staatsanwaltschaft verworfen. Gegen dieses Urteil legten sowohl der Angeklagte als auch die Staatsanwaltschaft Revision ein.
Der Angeklagte beantragt, das ergangene Urteil aufzuheben. Gerügt werde die Verletzung materiellen Rechts.
Die Staatsanwaltschaft wendet sich mit der auf die Rüge der Verletzung materiellen Rechts gestützten und von der Generalstaatsanwaltschaft München vertretenen Revision gegen die rechtliche Würdigung des Landgerichts, soweit der Angeklagte wegen Körperverletzung und nicht wegen gefährlicher Körperverletzung verurteilt worden sei.
Die Generalstaatsanwaltschaft München beantragt auf die Revision der Staatsanwaltschaft das Urteil des Landgerichts Kempten (Allgäu) vom 3. Juli 2023
- im Schuldspruch dahingehend abzuändern, dass der Angeklagte wegen gefährlicher Körperverletzung in elf Fällen sowie schwerer Körperverletzung verurteilt wird,
- im Rechtsfolgenausspruch mit den dazugehörigen Feststellungen aufzuheben und die Sache im Umfang der Aufhebung zur neuen Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Revisionsverfahrens, an eine andere Strafkammer des Landgerichts Kempten (Allgäu) zurückzuverweisen und die Revision des Angeklagten als unbegründet zu verwerfen.
Der Angeklagte beantragt,
unter Verzicht auf die Verfahrensrüge die Revision der Staatsanwaltschaft zu verwerfen, hilfsweise, das Verfahren auszusetzen und dem Bundesgerichtshof die Frage vorzulegen, ob ein medizinisches Instrument, geführt von einem approbierten Arzt im Rahmen eines indizierten Eingriffs, ein gefährliches Werkzeug im Sinne von § 224 Abs. 1 Nr. 2 StGB darstellt.
II.
1. Revision des Angeklagten:
Die Nachprüfung des Urteils aufgrund der Sachrüge begründeten Revision des Angeklagten hat keinen Rechtsfehler zum Nachteil des Angeklagten ergeben. Die sorgfältige und ausführliche Beweiswürdigung des Landgerichts begegnet keinen rechtlichen Bedenken. Die vom Tatgericht getroffenen Feststellungen tragen jedenfalls die Verurteilung wegen - vorsätzlicher - Körperverletzung in elf Fällen und schwerer Körperverletzung. Auch die Strafzumessung weist keinen Rechtsfehler auf...