Verfahrensgang
LG Kempten (Urteil vom 31.03.2021; Aktenzeichen 2 KLs 350 Js 17242/20) |
Tenor
1. Auf die Revision des Angeklagten wird das Urteil des Landgerichts Kempten (Allgäu) vom 31. März 2021 im Schuldspruch dahin geändert, dass der Angeklagte im Fall B. I. der Urteilsgründe der besonders schweren Vergewaltigung in Tateinheit mit Freiheitsberaubung, mit Körperverletzung, mit unerlaubtem Verabreichen von Betäubungsmitteln, mit Nötigung, mit Bedrohung und mit unerlaubtem Besitz einer halbautomatischen Kurzwaffe schuldig ist.
2. Die weitergehende Revision wird als unbegründet verworfen.
3. Der Angeklagte hat die Kosten seines Rechtsmittels und die dem Nebenkläger hierdurch entstandenen notwendigen Auslagen zu tragen.
Gründe
Rz. 1
Das Landgericht hat den Angeklagten wegen besonders schwerer Vergewaltigung in Tateinheit mit Freiheitsberaubung, mit gefährlicher Körperverletzung, mit vorsätzlicher unerlaubter Überlassung von Betäubungsmitteln, mit Nötigung, mit Bedrohung und mit vorsätzlichem unerlaubten Besitz einer halbautomatischen Kurzwaffe und wegen Einfuhr von Betäubungsmitteln zur Gesamtfreiheitsstrafe von sieben Jahren verurteilt sowie seine Unterbringung in einer Entziehungsanstalt unter Vorwegvollzug von einem Jahr und sechs Monaten der Gesamtfreiheitsstrafe angeordnet. Die hiergegen gerichtete Revision des Angeklagten, mit der er die Verletzung sachlichen Rechts beanstandet, führt lediglich zu der aus der Beschlussformel ersichtlichen geringfügigen Änderung des Schuldspruchs (§ 349 Abs. 4 StPO); im Wesentlichen ist das Rechtsmittel unbegründet (§ 349 Abs. 2 StPO).
Rz. 2
1. a) Der Generalbundesanwalt hat zur Abmilderung des Schuldspruchs von gefährlicher Körperverletzung (§ 224 Abs. 1 Nr. 1 Alternative 2 StGB) auf (einfache) Körperverletzung (§ 223 Abs. 1 StGB) zutreffend ausgeführt:
„Die Annahme einer gefährlichen Körperverletzung durch das Beibringen eines anderen gesundheitsschädlichen Stoffes gemäß § 224 Abs. 1 Nr. 1 StGB begegnet durchgreifenden Bedenken, da das Landgericht nur feststellt, dass der Angeklagte den Geschädigten B. zum Konsum einer Line Kokain veranlasst hat. Es verhält sich weder zur Gesundheitsschädlichkeit noch zu den etwaigen Folgen des Konsums (UA S. 7).”
Rz. 3
Auch wenn Kokain keine weiche Droge ist, muss ein Gelegenheitskonsum das körperliche Wohlbefinden nicht notwendigerweise beeinträchtigen; daher waren Feststellungen zu den konkreten Auswirkungen beim Nebenkläger erforderlich (vgl. BGH, Urteil vom 11. Dezember 2003 – 3 StR 120/03 Rn. 9, BGHSt 49, 34, 37 f. mwN). Neue Erkenntnisse, die solche Feststellungen tragen könnten, sind in einem neuen Rechtsgang nicht zu erwarten.
Rz. 4
b) Zur hiernach gebotenen Schuldspruchänderung hat der Generalbundesanwalt wie folgt Stellung genommen:
„Die Feststellungen tragen jedoch einen Schuldspruch wegen Körperverletzung gemäß § 223 Abs. 1 StGB, da der Angeklagte dem Geschädigten B. mit dem Fuß ins Gesicht trat sowie ihm zweimal mit der flachen Hand ins Gesicht schlug (UA S. 7). Die Körperverletzung ist auch vollendet, da der Geschädigte B. durch den Fußtritt jedenfalls eine Schwellung im Gesicht und Schmerzen erlitt (UA S. 7). Soweit das Landgericht zugunsten des Angeklagten in der Strafzumessung erwägt, der Geschädigte habe keine körperlichen Schäden erlitten (UA S. 19), bezeichnet es so nur den Umstand, dass es zu keinen bleibenden physischen Schäden gekommen ist. Wegen des besonderen öffentlichen Interesses an der Strafverfolgung ist auch ein Einschreiten von Amts wegen geboten, § 230 Abs. 1 Satz 1 StGB.”
Rz. 5
c) Auch dem schließt sich der Senat an. § 265 Abs. 1 StPO steht der Schuldspruchänderung nicht entgegen. Denn auch der Fußtritt und das Schlagen mit der flachen Hand waren Gegenstand der Anklage; im Übrigen ist nicht ersichtlich, wie sich der geständige Angeklagte hiergegen wirksamer als geschehen hätte verteidigen können.
Rz. 6
d) Insbesondere angesichts der Schwere des Tatbilds, das von der sexuellen Erniedrigung des Nebenklägers geprägt ist, der Vielfältigkeit der abgenötigten Handlungen (u.a. Essen von Katzenfutter), der Dauer der Tat von über zwei Stunden und der gravierenden psychischen Folgen für den Nebenkläger schließt der Senat aus (§ 354 Abs. 1 StPO entsprechend), dass das Landgericht eine niedrigere Einzelfreiheitsstrafe verhängt hätte, wenn es von dem geringfügig abgeänderten Schuldspruch ausgegangen wäre.
Rz. 7
2. Da der Angeklagte den Nebenkläger zwang, das Kokain einzunehmen, ist die Tatbestandsvariante des Verabreichens einschlägig (§ 29 Abs. 1 Satz 1 Nr. 6 Buchst. b) Alternative 1 BtMG; vgl. BGH, Urteil vom 29. April 2009 – 1 StR 518/08, BGHSt 53, 288 Rn. 11) und der Schuldspruch entsprechend zu berichtigen.
Rz. 8
3. Im Übrigen bemerkt der Senat ergänzend zur Antragsschrift des Generalbundesanwalts:
Rz. 9
a) Dass das Landgericht den Angeklagten nicht wegen Geiselnahme (§ 239b Abs. 1 StGB) verurteilt hat, beschwert diesen nicht.
Rz. 10
b) Die Vorschrift des § 241 StGB wird hier beim länger andauernden Geschehen nicht von den Vorschriften des § 177 StGB (dazu BGH, Beschluss vom 2. Juli 2019 – 2 StR 130/19 Rn. 4 f.), des § 239 StGB (dazu BGH, Beschluss vom 16. Juni 2021 – 3 StR 138/21 Rn. 6 mwN) oder des § 240 StGB (dazu BGH, Beschluss vom 29. September 2020 – 5 StR 304/20 Rn. 3 mwN) verdrängt. Denn der Angeklagte sprach jedenfalls mit dem Androhen, die Leiche des Nebenklägers zu zerstückeln, eine Bedrohung aus, die nicht dem Herbeiführen eines Nötigungserfolgs diente und mithin kein Nötigungsmittel war. Diese Androhung hat in dem mehraktigen Tatablauf ihre selbständige Bedeutung behalten.
Unterschriften
Raum, Jäger, Bellay, Hohoff, Leplow
Fundstellen
Haufe-Index 14831171 |
NStZ-RR 2021, 375 |
StV 2022, 165 |