Leitsatz
Türkische Staatsangehörige stritten sich um den nachehelichen Unterhalt. Es ging primär um die Frage, ob die Unterhaltsbedürftigkeit der Ehefrau erst durch die Scheidung eingetreten war oder schon vorher bestanden hatte. Gegenstand des Verfahrens war ferner die Mangelverteilung bei der Anwendbarkeit deutschen Rechts für den Kindesunterhalt und türkischen Rechts für den Ehegattenunterhalt.
Sachverhalt
Die Parteien waren türkische Staatsangehörige und hatten in der Türkei geheiratet. Aus ihrer Ehe waren zwei Kinder hervorgegangen. Die Eheleute lebten seit 1999 voneinander getrennt. Der Ehemann war zuletzt als Kranführer beschäftigt und nach eigenen Angaben aufgrund einer betriebsbedingten Kündigung seit Frühjahr 2000 arbeitslos. Die Ehefrau bezog Leistungen nach dem SGB II.
Im Rahmen des Scheidungsverbundverfahrens machte die Ehefrau auch nachehelichen Unterhalt geltend und vertrat die Auffassung, der Ehemann habe seiner Erwerbsobliegenheit nicht genügt und müsse sich das zuletzt von ihm erzielte Netto-Einkommen fiktiv zurechnen lassen.
Sie beanspruchte nachehelichen Unterhalt i.H.v. 401,00 EUR monatlich.
Erstinstanzlich wurde ihr Antrag auf nachehelichen Unterhalt abgewiesen mit der Begründung, ihre Bedürftigkeit sei nicht durch die Scheidung eingetreten, wie Art. 175 des türk. ZGB dies erfordere. Vielmehr habe sie schon geraume Zeit vor der Scheidung Leistungen nach dem SGB erhalten.
Die Ehefrau legte gegen das erstinstanzliche Urteil Berufung ein, die überwiegend Erfolg hatte.
Entscheidung
Auch das OLG hielt materielles türkisches Recht für anwendbar, da es maßgeblich auf das Scheidungsstatut ankomme. Scheidungsstatut sei - wie auch erstinstanzlich vertreten - gem. Art. 17 Abs. 1 S. 1, 14 Abs. 1 Nr. 1 EGBGB türkisches Recht.
Danach stehe der Ehefrau ein sog. Bedürftigkeitsunterhalt nach Art. 175 Abs. 1, 176 Abs. 1 türk. ZGB i.H.v. monatlich 385,00 EUR ab Rechtskraft der Ehescheidung zu. Dieser Anspruch könne von ihr unbeschadet des Leistungsbezuges von SGB auch geltend gemacht werden, weil ein Anspruchsübergang nicht erfolgt sei.
Die Ehefrau sei - entgegen der Auffassung des erstinstanzlichen Gerichts - durch die Scheidung bedürftig geworden. Der in Art. 175 türk. ZGB verlangte ursächliche Zusammenhang zwischen Scheidung und Bedürftigkeit bestimme sich danach, ob vor der Scheidung ein Unterhaltsanspruch des Berechtigten bestanden habe, der durch die Scheidung weggefallen sei, nicht hingegen danach, ob es infolge der Scheidung zu einer Verschlechterung der finanziellen Situation des Berechtigten gekommen sei.
Bei anderer Interpretation könnte sich anderenfalls der scheidungswillige Ehepartner seiner nachehelichen Unterhaltsverpflichtung dadurch entziehen, dass er bereits vor der Scheidung Unterhalt nicht mehr bereit stelle und sich alsdann darauf berufe, die Situation seines Ehepartners habe sich durch die Scheidung nicht geändert.
Entscheidend sei allein, dass die Ehefrau während bestehender Ehe jedenfalls Unterhaltsansprüche gegenüber ihrem Mann hatte, die ihren Bedarf deckten.
Auch nach türkischem Recht stehe der Unterhaltsanspruch gem. Art. 175 ZGB unter dem Vorbehalt der Leistungsfähigkeit des Unterhaltsschuldners. Diese Leistungsfähigkeit war nach Auffassung des OLG zu bejahen. Sie bestimme sich dabei nicht nur nach seinen effektiven Einkünften, sondern auch nach dem fiktiven Einkommen, das er bei zumutbarem Einsatz von Arbeitskraft und Berufskenntnissen erzielen könnte.
Er habe nicht konkret dargelegt, dass er sich hinlänglich um einen neuen Arbeitsplatz bemüht habe. Aufgrund dessen müsse das früher von ihm bezogene Nettoeinkommen i.H.v. ca. 1.680,00 EUR fortgeschrieben werden.
Zur Rangfolge der Unterhaltspflichten zum einen gegenüber den beiden minderjährigen Kindern und zum anderen gegenüber der Ehefrau verwies das OLG auf Art. 330 Abs. 1 S. 1 türk. ZGB, wonach von einem Gleichrang auszugehen sei. Da der Ehemann nicht in der Lage sei, allen Berechtigen den vollen Unterhalt zu zahlen, komme es zu einer Mangelfallverteilung. Danach seien für die Kinder jeweils 135 % des Regelunterhalts, für die Ehefrau der notwendige Selbstbehalt von 770,00 EUR in die Mangelfallverteilung einzustellen.
Einschränkungen des Unterhaltsanspruchs der Ehefrau gem. Art. 175 türk. ZGB sah das OLG nicht. Es sei nichts dafür vorgetragen, dass sie entweder über eigenes Vermögen verfüge oder gegenwärtig in der Lage wäre, durch Aufnahme einer Erwerbstätigkeit ihren Bedarf selbst zu decken.
Link zur Entscheidung
OLG Hamm, Urteil vom 21.02.2006, 3 UF 299/05