Entscheidungsstichwort (Thema)
Bedürftigkeit eines Ehegatten im Sinne von Art. 175 türkisches ZGB. Mangelverteilung im Fall der Anwendbarkeit unschiedlichen Rechts für den Kindes- und Ehegattenunterhalt
Normenkette
Türk. ZGB Art. 175; EGBGB Art. 18
Verfahrensgang
AG Herne (Urteil vom 17.06.2005; Aktenzeichen 16 F 440/04) |
Tenor
Auf die Berufung der Antragsgegnerin wird das am 17.6.2005 verkündete Urteil des AG - FamG - Herne hinsichtlich des Ausspruchs zum nachehelichen Unterhalt abgeändert.
Der Antragsteller wird verurteilt, an die Antragsgegnerin ab Rechtskraft der Scheidung nachehelichen Unterhalt i.H.v. monatlich 385 EUR zu zahlen; die weitergehende Berufung wird zurückgewiesen; der weitergehende Antrag wird abgewiesen.
Die Kosten des Verfahrens einschließlich der Kosten der Berufung werden gegeneinander aufgehoben.
Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.
Streitwert für die Berufung: 4.908 EUR
Gründe
(abgekürzt nach § 540 Abs. 1 ZPO):
I. Antragsteller und Antragsgegnerin sind türkische Staatsangehörige. Sie heirateten in der Türkei. ... wurde die Tochter der Sohn geboren. Beide Kinder besuchen noch die Schule. Seit etwa 1999 leben die Parteien voneinander getrennt Der Antragsteller war zuletzt als Kranführer beschäftigt und ist nach eigenen Angaben aufgrund einer betriebsbedingten Kündigung seit Frühjahr 2000 arbeitslos. Die Antragsgegnerin bezieht Leistungen nach dem SGB II.
Die Antragsgegnerin hat im Rahmen des Scheidungsverbundverfahrens auch Ansprüche auf Unterhalt nach Rechtskraft der Scheidung erhoben. Sie hat die Auffassung vertreten, der Antragsteller habe seiner Erwerbsobliegenheit nicht genügt und müsse sich ein monatliches Netto-Einkommen von 1.600 EUR, wie er es zuvor erzielt habe, zurechnen lassen. Nach der vorzunehmenden Mangelverteilung ergebe sich ein Anspruch auf Nachscheidungsunterhalt i.H.v. monatlich 401 EUR.
Der Antragsteller hat die Auffassung vertreten, er sei angesichts seiner Arbeitslosigkeit und der wöchentlichen Leistungen der Bundesagentur für Arbeit i.H.v. lediglich 153,23 EUR (ab 1.1.2004) leistungsunfähig.
Mit Urteil vom 17.6.2005 hat das FamG die Ehe der Parteien geschieden, den Versorgungsausgleich durchgeführt, das Sorgerecht geregelt und den Antrag der Ehefrau auf Zahlung von Nachscheidungsunterhalt abgewiesen, weil ihre Bedürftigkeit nicht durch die Scheidung eingetreten sei, wie Art. 175 des türkischen Zivilgesetzbuches (im Folgenden: türk. ZGB} dies erfordere. Vielmehr habe sie schon geraume Zeit vor der Scheidung Leistungen nach dem SGB erhalten. Wegen der Einzelheiten des Sachvortrags in erster Instanz und der dort gestellten Anträge wird auf das angefochtene Urteil Bezug genommen.
Gegen die Versagung von Unterhalt in dem ihr am 30.6.2005 zugestellten Urteil richtet sich die am 18.7.2005 eingelegte und am 30.8.2005 begründete Berufung der Antragstellerin. Sie meint, die Voraussetzungen für einen Unterhaltsanspruch nach türkischem Recht seien gegeben. Es komme nur darauf an, dass sie in der Ehe ihr Auskommen gehabt habe und dass diese Grundlage mit der Scheidung weggefallen sei. Ihr Bedarf sei sodann nach deutschen Verhältnissen zu beurteilen. Bis Ende 1999 habe der Antragsteller als Kranführer ein monatliches Netto-Einkommen von 1.667,26 EUR erzielt. Dieses Einkommen sei fortzuschreiben, da er keine ausreichenden Bemühungen um einen entsprechenden Arbeitsplatz dargelegt habe; Ziehe man den titulierten Kindesunterhalt von 152,88 EUR und von 117,60 EUR ab und berücksichtige den Selbstbehalt von 890 EUR, so verbleibe eine Leistungsfähigkeit von 526,58 EUR.
Die Antragsgegnerin beantragt, in Abänderung des Urteils des AG - FamG - Herne den Antragsteller zu verurteilen, an sie einen nachehelichen Unterhalt i.H.v. monatlich 409 EUR zu zahlen.
Der Antragsteller verteidigt das angegriffene Urteil und beantragt, die Berufung zurückzuweisen. Auf den Inhalt der gewechselten Schriftsätze wird Bezug genommen.
II. Die zulässige Berufung hat auch in der Sache überwiegend Erfolg.
Die internationale Zuständigkeit deutscher Gerichte ergibt sich - unabhängig von der Staatsangehörigkeit der Parteien - aus Art. 2 VO (EG) Nr. 44/2001 (Henrich, Intern. Scheidungsrecht, 2. Aufl., Rz. 104).
Anzuwenden ist materielles türkisches Recht, denn es kommt maßgeblich auf das Scheidungsstatut an (Art. 18 Abs. 4 EGBGB). Scheidungsstatut ist, wie vom FamG dargelegt gemäß Art. 17 Abs. 1 S. 1,14 Abs. 1 Nr. 1 EGBGB das türkische Recht. Eine Rückverweisung sieht das türkische internationale Privatrecht, das für Fragen des nachehelichen Unterhalts seinerseits auf das Scheidungsstatut verweist und als solches das gemeinsame Heimatrecht der Ehegatten ansieht, in diesem Fall recht vor (Art, 13 Abs. 1 und 3 des Gesetzes über das internationale Privat- und Zivilverfahrensrecht Nr. 2675 vom 20.5.1982).
Der Antragsgegnerin steht ein sog. Bedürftigkeitsunterhalt in Form einer Unterhaltsrente nach Art. 175 Abs. 1. 176 Abs, 1 türk. ZGB i.H.v. monatlich 385 EUR ab Rechtskraft der Scheidung zu. Diese Ansprüche kann die Antragsgegnerin ...