Vorwort
Leistungen der Gesetzlichen Krankenversicherung bei Arbeitsunfähigkeit stellen einen wesentlichen Teil der sozialen Sicherung in Deutschland dar. Versicherte können sich im Bedarfsfall darauf verlassen, die Solidargemeinschaft steht dafür ein. Von jeher ist deshalb die Begutachtung der Versicherten im Hinblick auf notwendige Krankengeldzahlungen einer der Schwerpunkte der sozialmedizinischen Begutachtung des Medizinischen Dienstes (MD).
Die Begutachtungsanleitung hat den Anspruch, ein umfassendes Verständnis für die Komplexität der Arbeitsunfähigkeits-Begutachtung herzustellen und den Gutachterinnen und Gutachtern eine einheitliche und fachgerechte Beurteilung zu ermöglichen. Die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter der Krankenkassen werden dazu befähigt, anhand der ihnen vorliegenden Informationen eine fundierte Fallauswahl zu treffen.
Für die betroffenen Versicherten haben die Begutachtungsergebnisse oft weitreichende Bedeutung. Nicht zuletzt deshalb muss die Begutachtung in hoher Qualität und auf dem aktuellen Stand der medizinischen Erkenntnisse und der gesetzlichen Vorgaben durchgeführt werden. Begutachtungsanleitungen dienen der Sicherstellung einer qualitativ hochwertigen Bearbeitung von speziellen gutachtlichen Fragestellungen und deren einheitlichen Umsetzung durch den Medizinischen Dienst. Diese sind für Krankenkassen und den Medizinischen Dienst verbindlich.
Um den umfassenden Änderungen im SGB V durch das Gesetz zur Weiterentwicklung der Gesundheitsversorgung (GVWG) vom 19.07.2021 und der Richtlinie des Gemeinsamen Bundesausschusses über die Beurteilung der AU und die Maßnahmen zur stufenweisen Wiedereingliederung (Arbeitsunfähigkeits-Richtlinie) Rechnung zu tragen, wurde die Überarbeitung der Begutachtungsanleitung Arbeitsunfähigkeit (BGA AU) notwendig.
Die wesentlichen Änderungen durch das GVWG ziehen eine Umgestaltung in der Bearbeitung von Arbeitsunfähigkeitsfällen auf Seiten der Krankenkassen und auf Seiten des Medizinischen Dienstes nach sich. So ist insbesondere die Einholung von Informationen im Einzelfall durch die Krankenkassen im § 275 Abs. 1b SGB V neu geregelt worden. Dabei werden weitergehende Informationen zur Arbeitsunfähigkeit selbst und den individuellen Kontextfaktoren allein durch den Medizinischen Dienst erhoben, hierzu dienen neu konzipierte Versichertenanfragen. Nach Auftragserteilung erfolgt regelhaft eine gutachtliche Stellungnahme unter Einhaltung von Mindestkriterien, dies regelt der neu eingefügte Abs. 6 in § 275 SGB V.
Zum Schutz der Versichertendaten werden die Begutachtungsergebnisse des Medizinischen Dienstes allein an die/den AU-attestierenden Ärztin/Arzt und an die Krankenkasse übermittelt; diese erhält zusätzlich die Gründe für das Ergebnis.
Dies sind nur einige Beispiele für neue Gesetzesvorschriften, die in der Begutachtungsanleitung berücksichtigt werden.
Die Begutachtungsanleitung wurde in Zusammenarbeit zwischen dem GKV-Spitzenverband, den Verbänden der Krankenkassen auf Bundesebene und der Gemeinschaft der Medizinische Dienste erarbeitet. Hierfür gebührt allen Mitgliedern der Arbeitsgruppe unser Dank.
Dr. Doris Pfeiffer |
Dr. Stefan Gronemeyer |
Vorsitzende des Vorstands |
Geschäftsführer |
GKV-Spitzenverband |
MDS |
1 Einleitung
Die Überarbeitung der Begutachtungsanleitung Arbeitsunfähigkeit (BGA AU) wurde notwendig, um dem aktuellen Erkenntnisstand der Praxis, den zwischenzeitlichen Änderungen im Fünften Buch Sozialgesetzbuch (SGB V), der Richtlinie des Gemeinsamen Bundesausschusses über die Beurteilung der AU und die Maßnahmen zur stufenweisen Wiedereingliederung – Arbeitsunfähigkeits-Richtlinie (AU-Richtlinie) und der Rechtsprechung Rechnung zu tragen.
Bei jeder Arbeitsunfähigkeit (AU) infolge Krankheit handelt es sich um einen komplexen Zusammenhang von rechtlichen, beruflichen und medizinischen Aspekten. Diese Komplexität erfordert von allen Beteiligten vielschichtige Kenntnisse. Die praktische Bedeutung der AU und deren Folgen sind für die Patientin/Versicherte oder den Patienten/Versicherten, die Vertragsärztin oder den Vertragsarzt, den Arbeitgeber und die Krankenkasse jeweils unterschiedlich, so dass sich die Gutachterin oder der Gutachter des Medizinischen Dienstes bei ihrer oder seiner Beurteilung in einem Spannungsfeld befindet.
Wesentlich ist, dass nicht die AU-begründende Diagnose, sondern die resultierenden strukturellen und funktionellen Schädigungen, Beeinträchtigungen der Aktivitäten und Teilhabe sowie personbezogene Faktoren (insbesondere das Krankheitsverhalten, subjektive Erwartung an Gesundheits- und Erwerbsprognose) und umweltbezogene Faktoren (z. B. besondere Bedingungen des Arbeitsplatzes) die AU und ihre Dauer beeinflussen. Die Krankenkassen analysieren regelmäßig AU-Fälle und legen sie dem Medizinischen Dienst zur gutachtlichen Stellungnahme vor, soweit dies gesetzlich vorgesehen und erforderlich ist.
Wirksame Maßnahmen zur Vermeidung von wiederkehrender AU oder Langzeit-AU sind notwendig, denn mit zunehmender AU-Dauer treten soziale und psychosoziale Probleme verstä...