Leitsatz

  1. Bei Beschlussfassung über eine bauliche Veränderung kann grundsätzlich auch der dadurch begünstigte Eigentümer mit abstimmen
  2. Der Einbau eines Treppenlifts als bauliche Veränderung muss unter bestimmten Voraussetzungen von den restlichen Eigentümern geduldet werden
 

Normenkette

§§ 14 Nr. 1, 22 Abs. 1 und 25 Abs. 5 WEG; Art. 3 Abs. 3 Satz 2 GG

 

Kommentar

  1. Auch dann, wenn Wohnungseigentümer über eine bauliche Veränderung beschließen, die einem Wohnungseigentümer überwiegend oder gar ausschließlich zugute kommt, ist dieser grundsätzlich nicht von seinem Stimmrecht nach § 25 Abs. 5 WEGausgeschlossen. Vorliegend wurde im Interesse erkrankter, pflegebedürftiger und stark gehbehinderter einzelner Eigentümer der Einbau eines Treppenlifts unter Kostenübernahme, Zusicherung des Rückbaus und Stellung einer Sicherheit mehrheitlich gestattet. Das Stimmverbot des § 25 Abs. 5 WEG als Ausnahmevorschrift soll nur bestimmte Fälle einer Interessenkollision erfassen, Eigentümer aber nicht schlechthin daran hindern, an Entscheidungen über die Verwaltung des gemeinschaftlichen Eigentums mitzuwirken. Das Stimmrecht als wesentliches Mittel zur Mitgestaltung der Gemeinschaftsangelegenheiten darf nur ausnahmsweise unter eng begrenzten Voraussetzungen eingeschränkt werden (vgl. BGH v. 19.9.2002, V ZB 30/02, BGHZ 152, 46 und BayObLGZ 1998, 289). Erfasst werden soll von einem Stimmrechtsausschluss insbesondere der Konflikt, der dadurch entsteht, dass die Gemeinschaft den betroffenen Eigentümer in einer rechtlichen Sonderbeziehung gegenübersteht. Maßgeblich ist hier, ob der Schwerpunkt der Angelegenheit in der Verfolgung privater Sonderinteressen oder in der Wahrnehmung mitgliedschaftlicher Rechte liegt. Die Grenzen zwischen ordnungsgemäßer Instandhaltung und Instandsetzung einerseits sowie baulichen Veränderungen andererseits sind im Übrigen oftmals fließend. Insoweit einen Eigentümer von der Beschlussfassung von vorneherein auszuschließen, würde sein Mitgliedschaftsrecht ohne zwingende Notwendigkeit unverhältnismäßig einschränken. Missbrauchsfälle lassen sich nach Treu und Glauben und der bestehenden Möglichkeit einer Beschlussanfechtung verhindern (vgl. BGHZ 152, 46). Der Senat hält damit an seiner früheren Rechtsprechung (BayObLG v. 20.6.1974, BReg 2 Z 22/74, BayObLGZ 1974, 269/273), nach der ein betroffener Wohnungseigentümer bei der Beschlussfassung über die Genehmigung baulicher Veränderungen ausgeschlossen ist, nicht mehr fest.

    Vorliegend war auch im Zweifel von der Geschäftsfähigkeit einer Vollmacht gebenden Eigentümerin auszugehen.

  2. Der Einbau eines Treppenlifts stellt im Allgemeinen eine bauliche Veränderung dar. Die Zustimmung der übrigen Wohnungseigentümer kann allerdings entbehrlich sein, wenn die bauordnungsrechtlichen Belange gewahrt sind und die Gebrauchsmöglichkeiten des Treppenhauses für die übrigen Eigentümer nicht über das unvermeidliche Maß hinaus beeinträchtigt werden. In diesem Rahmen kann es auch hinnehmbar sein, dass für den Einbau des Treppenlifts der vorhandene zweite Handlauf abmontiert werden muss.

    Vorliegend wurde auch baubehördlicher Dispens von Art. 35 Abs. 5 Bayerische Bauordnung (BayBO) erteilt (im Zuge eines verwaltungsgerichtlichen Verfahrens).

    Bei der wohnungseigentumsgerichtlichen Entscheidung über den Einbau ist eine konkret-individuelle Abwägung der beiderseitigen Interessen vorzunehmen (vgl. BVerfG v. 28.3.2000, 1 BvR 1460/99, NJW 2000, 2658; vgl. auch LG Hamburg v. 6.6.2001, 318 T 70/99, NZM 2001, 767/768). Konkret sind hier die Eigentumsrechte untereinander aus Art. 14 Abs. 1 GG abzuwägen. Dieses Grundrecht wird nach Inhalt und Umfang entscheidend auch von Art. 3 Abs. 3 Satz 2 GG, Art. 6 Abs. 1 GG und Art. 12 Abs. 1 GG mitgeprägt, wenn der Ehepartner eines Eigentümers so (bewiesenermaßen) gehbehindert ist, dass er ohne mechanische Steighilfe weder seine Wohnung noch beruflich genutzte Räume erreichen kann. Optischen Beeinträchtigungen ist hier kein erhebliches Gewicht beizumessen.

    Auch der Senat bewertet die Interessen der kranken Person im Rahmen von § 242 BGB insoweit als vorrangig, zumal die restlichen Eigentümer zudem finanziell abgesichert wurden. Auch behördlicherseits wurde hinsichtlich der Treppenbreite nach eingehender Prüfung Akzeptanz bestätigt, so dass Nachteile der restlichen Eigentümer zu verneinen waren (die ohnehin nur bei Betätigung des Lifts bedeutsam wären). Im Verwaltungsverfahren wurden auch sicherheitsrechtliche Belange überprüft und mitberücksichtigt.

 

Link zur Entscheidung

BayObLG, Beschluss vom 25.09.2003, 2Z BR 161/03, Nr. 47

Anmerkung

Diese sorgfältig abgewogene Entscheidung des BayObLG dürfte auch als bedeutsamer Beitrag zur derzeit in allgemeiner Fachdiskussion stehenden Barrierefreiheit von Wohnungseigentum anzusehen sein und vielleicht argumentativ auf vergleichbare Fälle nachträglicher baulicher Veränderungen zumindest analoge Anwendung finden (vgl. hierzu auch Derleder, Vortrag "Fischen, Oktober 2003" im Auftrag des ESW Deutschland). Zunehmende Alterung der Gesell...

Dieser Inhalt ist unter anderem im Deutsches Anwalt Office Premium enthalten. Sie wollen mehr?