Leitsatz

  1. Der 2. Zivilsenat des BayObLG fordert ausdrückliche Rechtsmittelbelehrungen in den Entscheidungen der Vorinstanzgerichte; andernfalls ist grundsätzlich Wiedereinsetzung in den vorigen Stand zu gewähren.
  2. Keine Vorlage wegen Hauptsacheerledigung.
 

Normenkette

§ 45 Abs. 1 WEG; § 22 Abs. 2 FGG; § 132 Abs. 3 GVG; § 10 Abs. 1 EGGVG; Art. 2 Abs. 1 GG, Art. 20 Abs. 3 GG

 

Kommentar

  1. Der Anspruch auf einen wirkungsvollen Rechtsschutz gebietet bei befristeten Rechtsmitteln in Verfahren der Freiwilligen Gerichtsbarkeit von Verfassungs wegen eine Rechtsmittelbelehrung. Wird eine solche nicht erteilt und die Frist versäumt, ist grundsätzlich Wiedereinsetzung in den vorigen Stand zu gewähren.
  2. Insoweit beabsichtigt der Senat im vorliegenden Fall einem Wiedereinsetzungsantrag wegen versäumter Rechtsmittelfrist stattzugeben. Diese Rechtsfrage wurde allerdings vom 1. und 3. Zivilsenat des BayObLG verneint. Voraussetzung für eine Vorlage an den Großen Senat für Zivilsachen des BayObLG ist, dass beide Senate auf Anfrage erklären, an ihrer Rechtsauffassung festzuhalten ( § 132 Abs. 3 S. 1 GVG i.V.m. § 10 Abs. 1 EGGVG). Insoweit stellt der erkennende Senat diese Anfrage.
  3. Für die neue Rechtsauffassung wird insbesondere die Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts vom 20.6.1995 (NJW 1995, 3173) erwähnt, in der festgestellt wurde, dass der verfassungsrechtliche Anspruch auf einen wirkungsvollen Rechtsschutz eine Rechtsmittelbelehrung gebieten könne, wenn dies erforderlich sei, um unzumutbare Schwierigkeiten des Rechtsweges auszugleichen, welche die Ausgestaltung eines Rechtsmittels andernfalls mit sich brächte. Deswegen erachtet der Senat bei befristeten Rechtsmitteln wie im WE-Verfahren Rechtsmittelbelehrungen für geboten. Unterbleibt eine solche Belehrung, kann eine Fristversäumung grundsätzlich auch nicht als verschuldet angesehen werden, sodass Wiedereinsetzung in den vorigen Stand zu gewähren ist. Dies entspricht auch einer im Vordringen befindlichen Meinung im Schrifttum (vgl. Keidel/Schmidt, § 16 Rn. 60; Budde in Bauer-v. Oefele, GBO, § 73 Rn. 13; Staudinger/Wenzel, § 44 Rn. 50; Demharter, GBO, § 1 Rn. 54; derselbe FGPrax 1995, 217 und WM 2000, 43). Insoweit will der Senat auch von früherer Entscheidung in anderer richterlicher Besetzung ( Beschluss vom 2.12.1999, 2Z BR 161/99 = NZM 2000, 295) abweichen, ebenso von den Entscheidungen des OLG Celle v. 10.9.1998 (4 W 192/98 = NZM 1999, 287) und des OLG Köln v. 29.5.2000 (16 Wx 72/00), auch wenn die beiden zuletzt genannten Senate die Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts nicht einmal erwähnt haben.
  4. Sollten der 1. und 3. Zivilsenat des BayObLG an ihrer Rechtsauffassung nicht mehr festhalten, müsste der erkennende 2. Zivilsenat die Sache wegen beabsichtigter Abweichung von den Entscheidungen des OLG Celle und des OLG Köln gem. § 28 Abs. 2 FGG dem BGH vorlegen. Andernfalls käme eine Vorlage an den Großen Senat für Zivilsachen des BayObLG in Betracht.
 

Link zur Entscheidung

BayObLG, Beschluss vom 13.03.2001, 2Z BR 23/01

Anmerkung:

Die Anfragen des 2. Zivilsenats beim 1. und 3. Senat wurden mit Beschlussentscheidungen vom 11.4.2001 (1 ZAR 2/01) bzw. vom 20.4.2001 (3 ZAR 22/01) in dem Sinne beantwortet, dass diese Senate an bisheriger Auffassung nach wie vor festhalten wollten, dass "eine allgemeine Pflicht der Gerichte zur Rechtsmittelbelehrung – auch von Verfassungs wegen – in Verfahren der Freiwilligen Gerichtsbarkeit nicht bestehe".

Allerdings hat sich aufgrund eines Hinweises des 2. Zivilsenats zu seiner Entscheidung die dem Beschluss zugrunde liegende Hauptsache in diesem Streit erledigt, sodass für die im Beschluss vom 13.3.2001 ins Auge gefasste Vorlage an den Großen Senat für Zivilsachen des BayObLG oder an den Bundesgerichtshof kein Raum mehr bestand.

M.E. wird es nicht allzu lange dauern, bis diese Rechtsfrage höchstrichterlich endgültig geklärt wird. Es spricht einiges dafür, auch in Wohnungseigentumssachen eine Pflicht zur Rechtsmittelbelehrung durchzusetzen (über den bestehenden Gesetzeswortlaut hinaus, der eine solche Belehrung nicht vorschreibt), und zwar unter Hinweis auf das verfassungsrechtliche Gebot des Rechtsstaatsprinzips. Dieses Prinzip fordert, dass ein Rechtsweg nicht in unzumutbarer, durch Sachgründe nicht mehr zu rechtfertigende Weise erschwert wird. Namentlich in Verfahren ohne Anwaltszwang erscheint die Rechtsmittelbelehrung geboten, wenn diese nicht leicht überschaubar und auch nicht im Bewusstsein der Bevölkerung verwurzelt seien. Wirkungsvoller Rechtsschutz könne hier nur durch Rechtsmittelbelehrung bzw. bei unterbliebener Belehrung über Bejahung einer Wiedereinsetzung erreicht werden.

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