Christoph Weling, Gido Schür
1. Überblick
a) Einführung
Rz. 2
Das belgische IPR war bis zur Einführung des IPR-Gesetzes vom 16.7.2004, in Kraft getreten am 1.10.2004, im Bereich des Erbrechts gesetzlich nicht geregelt. Lediglich Art. 3 Abs. 2 fr. ZGB konnte bis dahin entnommen werden, dass in Belgien gelegene Immobilien dem belgischen Recht unterworfen sind, und zwar unabhängig von der Staatsangehörigkeit des Eigentümers. Hieraus folgte nach der Rechtsprechung und der überwiegenden Literaturmeinung, der auch die belgische Finanzverwaltung folgte, dass bei Erbfällen mit Auslandsberührung aus Sicht des belgischen Internationalen Privatrechts zur Bestimmung des anwendbaren Rechts nach den Bestandteilen des Nachlasses wie folgt zu unterscheiden war:
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Für unbewegliches Vermögen galt das Recht am Belegenheitsort der Sache. |
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Für bewegliches Vermögen galt das Recht am Wohnsitz ("domicile" i.S.d. Art. 102 fr. ZGB = die Hauptniederlassung) des Erblassers. |
Rz. 3
Auf dem Gebiet des Erbrechts hat das IPR-Gesetz (IPRG) für Erbfälle ab dem 1.10.2004 diese Kollisionsregeln grundsätzlich beibehalten, darüber hinaus aber einige wesentliche Änderungen eingeführt, wie die Beschränkung des Verweises (renvoi) auf Ausnahmetatbestände (vgl. dazu Rdn 11) oder die Zulässigkeit einer Rechtswahl (vgl. hierzu Rdn 21 ff.).
Gestützt auf Art. 78 IPRG unterlag nunmehr die Erbfolge hinsichtlich des unbeweglichen Vermögens dem Recht am Belegenheitsort und die Erbfolge hinsichtlich des beweglichen Vermögens dem Recht am letzten gewöhnlichen Wohnsitz des Erblassers.
Rz. 4
Hierzu kennt das IPRG folgende Ausnahmetatbestände:
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Kann der Inhalt des ausländischen Rechts, auf das verwiesen wird, durch das Gericht offensichtlich nicht innerhalb einer angemessenen Frist festgestellt werden, so kommt es gem. Art. 15 § 2 IPRG nicht zur Anwendung, sondern belgisches Recht. |
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Ergeben die Gesamtumstände, dass die Verbindung des Falles offensichtlich zu dem Staat, auf dessen Recht verwiesen wird, sehr schwach ist und gleichzeitig zu einem anderen Staat sehr stark, so ist dessen Recht gem. Art. 19 § 1 IPRG anwendbar. Aufgrund ihres Ausnahmecharakters ist diese Bestimmung jedoch restriktiv auszulegen. |
Rz. 5
Das Erbstatut galt schon bis zum Inkrafttreten des IPRG und ab dann gem. Art. 80 ff. IPRG nicht nur für die Erbfolge und für Pflichtteilerbrechte, sondern allgemein für alle Rechtsfragen, die im Zusammenhang mit dem Erbfall zu klären sind, insbesondere Gründe der Erbunwürdigkeit und Enterbung, die Eröffnung sowie der Erwerb der Erbschaft, deren Inbesitznahme, die Erbauseinandersetzung und Teilung. Soweit es um Pflichtteilerbrechte, Herabsetzung bzw. Reduzierung (réduction) und Anrechnung bzw Rückführung (rapport) geht, unterliegen auch Schenkungen unter Lebenden gem. Art. 80 § 1 Ziff. 10 IPRG dem Erbstatut.
Rz. 6
Im Hinblick auf das durchzuführende Verfahren unterlagen die Annahme und Ausschlagung der Erbschaft sowie die Art und Weise, wie sich die Anteile zusammensetzen und wie sie zugeteilt werden, dem Recht des Staates, in dem sich der Nachlass befindet, vgl. Art. 80 § 2, 81 IPRG, vgl. auch Art. 82 IPRG.
Rz. 7
Folgende Staatsverträge sind auf dem Gebiet des Erbrechts für Belgien verbindlich und daher gem. Art. 2 IPRG vorrangig zu beachten:
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Haager Übereinkommen vom 5.10.1961 über das auf die Form letztwilliger Verfügungen anzuwendende Recht; |
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Europäisches Übereinkommen über die Errichtung einer Organisation zur Registrierung von Testamenten; |
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Washingtoner Übereinkommen über ein einheitliches Recht der Form eines Internationalen Testaments, umgesetzt in innerstaatliches belgisches Recht durch Gesetz vom 2.2.1983. |