Sarah Kocks, Diana Rjabynina
Rz. 52
Die Abschaffung des Kapitalbegriffs in der GmbH bedeutet jedoch nicht, dass Dritte und Gläubiger nach Gründung der GmbH der Gnade und Willkür ihrer Gesellschafter und Geschäftsführer ausgeliefert sind. Das GGV stellt vielmehr neue Mindestanforderungen an die Höhe des Gesellschaftsvermögens und an die Liquiditätslage der GmbH und verschärft so die Vorgaben für Ausschüttungen an die Gesellschafter und das sog. Alarmglocken-Verfahren.
In der GmbH können Gewinne daher fortan nur dann ausgeschüttet werden, wenn das Nettovermögen und die Liquidität nicht gefährdet sind. Zu diesem Zweck muss ein sog. doppelter Ausschüttungstest durchgeführt werden. Der erste Teil dieses Tests besteht aus dem sog. einfachen Bilanztest, der den klassischen Nettovermögenstest ersetzt. Nach diesem Bilanztest ist eine Ausschüttung nur insoweit zulässig, als das Nettovermögen der GmbH nicht negativ ist bzw. durch die Ausschüttung negativ zu werden droht (Art. 5:142 GGV). Liegt ein sog. unverfügbares Gesellschaftsvermögen vor, so darf dieses nicht unterschritten werden. Der Bilanztest wird auf den letzten verabschiedeten Jahresabschluss oder auf eine Vermögensaufstellung jüngeren Datums als der letzte verabschiedete Jahresabschluss angewendet. Im Wesentlichen bedeutet dies, dass das gesamte Gesellschaftsvermögen, einschließlich des Gegenwerts der eingebrachten Vermögenswerte, grundsätzlich ausschüttungsfähig ist.
Außerdem wird die Gewinnausschüttung erst dann wirksam, wenn das geschäftsführende Organ in einem Bericht festgestellt hat, dass die GmbH nach der vernünftigerweise vorhersehbaren Entwicklung über einen Zeitraum von mindestens 12 Monaten ab dem Zeitpunkt der Ausschüttung weiterhin in der Lage sein wird, ihre Schulden bei Fälligkeit zu bezahlen (Art. 5:143 GGV). Hierbei handelt es sich um den sog. Liquiditätstest.
Innerhalb der Grenzen dieses sog. doppelten Ausschüttungstests muss die Gesellschafterversammlung ihren Ausschüttungsbeschluss fassen. Sämtliche Ausschüttungen unterliegen nunmehr diesem Test, unabhängig von dem Zeitpunkt, an dem sie vorgenommen werden. Dies betrifft u.a. (1) ordentliche Gewinnausschüttungen anlässlich der jährlichen Gesellschafterversammlung, (2) Zwischengewinnausschüttungen und (3) Zwischendividenden, zumindest soweit die Satzung die Möglichkeit einer Gewinnausschüttung aus dem laufenden Geschäftsjahr vorsieht.
Rz. 53
Werden entgegen diesen Vorschriften Gewinne ausbezahlt, so sind diese – abgesehen von etwaigen strafrechtlichen Konsequenzen für die Geschäftsführer – zurückzubezahlen (Art. 5:158, 3° GGV). Seit der Gesetzesänderung sind diese Rückforderungen zudem unabhängig von der Kenntnis der Gesellschafter, die die Ausschüttung erhalten haben. Daher ist eine solche Rückforderung nunmehr auch möglich, wenn die Gesellschafter gutgläubig sind (Art. 5:144 GGV).
Rz. 54
Der Erhaltung des Gesellschaftsvermögens dient auch das sog. Alarmglocken-Verfahren: Gemäß Art. 5:153 GGV ist die Geschäftsführung verpflichtet, die Gesellschafterversammlung einzuberufen, sofern das Nettoaktiva der Gesellschaft negativ wird oder negativ zu werden droht. Die Satzung kann auch ein strengeres Kriterium festlegen. Darüber hinaus wird im Rahmen des Liquiditätstests die Verpflichtung zur Einberufung der Gesellschafterversammlung auch dann ausgelöst, wenn die Geschäftsführung feststellt, dass es nicht mehr sicher ist, dass die Gesellschaft in den nächsten 12 Monaten nach vernünftigem Ermessen in der Lage sein wird, ihre Schulden bei Fälligkeit zu begleichen. Bei Erreichen einer der vorgenannten Grenzen, muss das Leitungsorgan tätig werden und die Gesellschafterversammlung innerhalb von zwei Monaten ab Feststellung der Situation einberufen. Die Geschäftsführung hat zwei Möglichkeiten: Entweder schlägt sie vor, die Gesellschaft aufzulösen oder sie verfasst einen Sonderbericht mit Maßnahmen zur Erhaltung der Kontinuität des Unternehmens.
Die Gesellschafterversammlung muss in der Folge konkrete Sanierungsmaßnahmen bzw. die Auflösung der Gesellschaft beschließen, wobei die Anwesenheits- und Mehrheitserfordernisse dieselben sind wie bei einer Satzungsänderung.
Wird die Gesellschafterversammlung nicht rechtzeitig oder nicht gemäß den vorgeschriebenen Regeln einberufen, gilt eine strengere Haftung für die Geschäftsführer. Darüber hinaus gilt zudem eine gesetzliche Kausalitätsvermutung, d.h., dass eine Vermutung dahingehend besteht, dass der Schaden eines Dritten durch die fehlende Einberufung entstanden ist. Die Geschäftsführung kann jedoch den Beweis des Gegenteils antreten.