Verbrauch des Selbsthilferechts eines GmbH-Gesellschafters

Auf das Selbsthilferecht zur Einberufung einer Gesellschafterversammlung gem. § 50 III GmbHG kann sich ein Gesellschafter nicht mehr berufen, wenn über den betreffenden Tagesordnungspunkt bereits Beschluss gefasst wurde. Dies gilt auch im Falle der Nichtigkeit des Beschlusses.

Die GmbH-Gesellschafterversammlung wird gem. § 49 I GmbHG grundsätzlich durch die Geschäftsführer einberufen. Gesellschafter haben demgegenüber keine (gesetzliche) Einberufungskompetenz. Sie können, sofern deren Geschäftsanteile zusammen mindestens 10% des Stammkapitals entsprechen, gem. § 50 I GmbHG jedoch unter Angabe des Zwecks und der Gründe von den Geschäftsführern die Einberufung verlangen. Wird dem Verlangen nicht entsprochen, können Gesellschafter gem. § 50 III GmbHG die Versammlung selbst einberufen (sog. Selbsthilferecht). Ist ein in einer nach § 50 III GmbHG einberufenen Versammlung gefasster Beschluss wegen Verfahrensfehlern (möglicherweise) nichtig, stellt sich die Frage, ob der einberufende Gesellschafter – unter Berufung auf § 50 III GmbHG – erneut zu einer Versammlung einberufen kann. Das Kammergericht Berlin (KG) hat dies nunmehr verneint.

Sachverhalt

Die Mehrheitsgesellschafterin einer GmbH beabsichtigte, die Geschäftsführer abzuberufen. Zu diesem Zweck forderte sie die Geschäftsführer auf, eine Gesellschafterversammlung einzuberufen. Nachdem die Geschäftsführer dieser Aufforderung nicht nachkamen, berief die Gesellschafterin selbst eine außerordentliche Gesellschafterversammlung ein. Der in dieser Gesellschafterversammlung gefasste Abberufungsbeschluss litt an einem Ladungsfehler und war nichtig. Aus diesem Grund leitete die Gesellschafterin ein schriftliches Beschlussverfahren unter Berufung auf das erste, gescheiterte Einberufungsverlangen ein, um den Abberufungsbeschluss zu bestätigen bzw. vorsorglich zu wiederholen.

Da die Geschäftsführer weiterhin für die GmbH handelten, beantragte die Gesellschafterin eine einstweilige Verfügung, um den Geschäftsführern weiteres Handeln für die GmbH zu untersagen. Die einstweilige Verfügung wurde erstinstanzlich bestätigt. Im streitgegenständlichen Berufungsverfahren war vom KG zu entscheiden, ob der Geschäftsführer im schriftlichen Beschlussverfahren wirksam abberufen wurde.

Entscheidung des KG

Das Kammergericht urteilte gegen eine wirksame Abberufung. Der in der gem. § 50 III GmbHG einberufenen Versammlung gefasste Beschluss sei wegen fehlerhafter Ladung nichtig. In analoger Anwendung der §§ 241 Nr. 1, 121 II AktG sei jedoch auch der in der Folgezeit im schriftlichen Beschlussverfahren gefällte (zweite) Abberufungsbeschluss nichtig, da die Beschlussfassung von einem Gesellschafter initiiert worden sei, der dazu nicht befugt war. Das Selbsthilferecht sei erledigt gewesen, da in der von der Gesellschafterin (in einem ersten Schritt) einberufenen Versammlung bereits über die begehrten Tagesordnungspunkte abgestimmt worden war. Die Gesellschafterin habe folglich nicht das Recht, eine erneute Versammlung einzuberufen bzw. ein Umlaufverfahren zu initiieren.

Die auf dem Ladungsfehler beruhende Nichtigkeit des (ersten) Beschlusses führe zu keinem anderen Ergebnis. Die klare Kompetenzregelung der §§ 49, 50 GmbHG würde verwässert, wenn die Einberufungskompetenz davon abhinge, ob eine Beschlussfassung (möglicherweise) nichtig ist. § 50 III GmbHG habe auch nicht den Zweck, eine wirksame Entscheidung im Sinne des Gesellschafters zu erzwingen. Sie solle lediglich sicherstellen, dass eine Gesellschafterversammlung zu einem bestimmten Tagesordnungspunkt durchgeführt werde. Es sei daher grundsätzlich von einem „Verbrauch“ des Selbsthilferechts auszugehen, wenn eine Beschlussfassung tatsächlich erfolgt ist. Abweichendes gelte nur dann, wenn eine Umgehung des § 50 GmbHG zu besorgen sei.

Anmerkung

Das Urteil des KG überzeugt. Ein Abweichen vom Grundsatz der Einberufung durch die Geschäftsführung gebietet eine restriktive Anwendung des Selbsthilferechts. Ob ein Selbsthilferecht von Gesellschaftern nach § 50 III GmbHG (fort-)besteht, kann konsequenterweise ausschließlich davon abhängen, ob über den betreffenden Tagesordnungspunkt bereits tatsächlich Beschluss gefasst wurde, nicht aber davon, ob die Beschlussfassung auch wirksam war. Anderenfalls bestünde – worauf das KG zutreffend hinweist – bis zu einer endgültigen gerichtlichen Klärung dieser Frage Ungewissheit, ob das Selbsthilferecht bereits „verbraucht“ ist oder der Gesellschafter selbst (erneut) eine Gesellschafterversammlung einberufen kann. Es ist Minderheitsgesellschaftern vielmehr zuzumuten, nach einer möglicherweise unwirksamen Beschlussfassung und vor einer (erneuten) Einberufung nach § 50 III GmbHG zunächst (erneut) die Voraussetzungen hierfür zu schaffen und ein Einberufungsverlangen an die Geschäftsführung nach § 50 I GmbHG zu richten.

(KG (Berlin), Urteil v.07.09.2022 – 23 U 120/21)