Leitsatz
Der Ansatz einer Bedarfspauschale bei der Geltendmachung nachehelichen Unterhalts steht nicht im Einklang mit der gesetzlichen Regelung. Gemäß § 1578 Abs. 1 S. 1 BGB bestimmt sich das Maß des Unterhalts nach den ehelichen Lebensverhältnissen. Die Bedarfsermittlung erfordert deshalb in jedem Einzelfall eine konkrete Feststellung der Einkommens- und Vermögensverhältnisse, die bis zum Zeitpunkt der Scheidung den ehelichen Lebensstandard bestimmt haben. Nur das, was als verteilungsfähiges Einkommen bis zur Scheidung zu Unterhaltszwecken verwendet werden konnte, kann auch den Maßstab für die Verteilung zwischen den geschiedenen Ehegatten liefern. Eine Abweichung hiervon ist nur bei konkreten Feststellungen zu bedarfserhöhenden Umständen - insbesondere zu trennungsbedingten Mehrkosten der Lebensführung - rechtlich zulässig.
Sachverhalt
Die Parteien stritten um nachehelichen Unterhalt. Ihre Ehe wurde im April 1982 geschlossen und im Frühjahr 1988 geschieden. Das im Oktober 1982 geborene gemeinschaftliche Kind wurde von der Ehefrau betreut, der auch die elterliche Sorge übertragen wurde. Der Ehemann zahlte für das Kind seit Juli 1992 Unterhalt in Höhe von monatlich DM 350,00.
Der Beklagte ist Postbeamter. Seine zweite Ehefrau erzielte ausreichend eigenes Einkommen und war nicht unterhaltsbedürftig. Die Klägerin hatte keine abgeschlossene Berufsausbildung. Vor der Eheschließung hat sie verschiedene Tätigkeiten ausgeübt, während der Ehe war sie nicht erwerbstätig. Nach der Trennung der Parteien im Februar 1986 arbeitete sie zeitweise halbtags. Im April 1992 begann sie eine Ausbildung für eine Tätigkeit in der Beschäftigungs- und Arbeitstherapie. Während dieser Ausbildung erhielt sie bis Januar 1995 DM 500,00 aus öffentlichen Mitteln. Der gemeinsame Sohn besuchte die Grundschule und wurde nach dem Unterricht von den Eltern der Klägerin betreut.
Der Beklagte zahlte zunächst freiwillig nachehelichen Unterhalt an die Klägerin. Seit Januar 1992 zahlte er DM 286,00 monatlich. Die Klägerin begehrte darüber hinaus Zahlung weiterer DM 315,50 im Monat.
Das erstinstanzliche Gericht hat ihre Klage abgewiesen. Auf ihre Berufung hat das OLG den Beklagten verurteilt, für den Zeitraum von Januar 1992 bis einschließlich Juni 1992 über den freiwillig gezahlten Unterhalt hinaus weitere DM 33,40 und für die Zeit ab 1. Juli 1992 die von der Klägerin beanspruchten weiteren DM 315,50 zu zahlen.
Mit der zugelassenen Revision bekämpft der Beklagte seine Verurteilung für die Zeit ab dem 1. Juli 1992.
Entscheidung
Der BGH folgte der Auffassung des OLG, wonach der Klägerin ein Unterhaltsanspruch gemäß § 1570 BGB zugebilligt wurde, weil von ihr wegen der Pflege und Erziehung des gemeinschaftlichen Kindes eine Ganztagstätigkeit nicht erwartet werden könne. Hieran ändere auch der Umstand nichts, dass der im Oktober 1992 10 Jahre alt gewordene Sohn der Parteien zeitweise von den Großeltern betreut werde. Allerdings treffe die Klägerin im Hinblick auf diese günstige Betreuungsmöglichkeit und die vor dem streitbefangenen Zeitraum von ihr ausgeübte Tätigkeit die Obliegenheit, jedenfalls halbtags erwerbstätig zu sein. Die im April 1992 von ihr aufgenommene Ausbildung sei ungeeignet, ihr für die Zukunft eine nachhaltigere Einkommens- und Lebenssicherung zu verschaffen, als es durch die ihr zuzumutende Ausübung einer Arbeit etwa in der Alten- oder Familienpflege der Fall wäre, zumal sie in diesem Bereich bereits praktische Berufserfahrungen gesammelt habe. Im Hinblick auf die von Anfang an negativen Berufsaussichten nach der von ihr absolvierten Ausbildung sei es für den Beklagten unbillig, während dieser Ausbildungszeit vollen Unterhalt leisten zu müssen.
Anders als das Berufungsgericht geht der BGH in seiner Entscheidung davon aus, dass der Ansatz einer Bedarfspauschale nicht gerechtfertigt ist. Das Maß des nachehelichen Unterhalts bestimme sich gemäß § 1578 Abs. 1 S. 1 BGB nach den ehelichen Lebensverhältnissen, die in jedem Einzelfall eine konkrete Feststellung der Einkommens- und Vermögensverhältnisse erforderlich machen, die bis zum Zeitpunkt der Scheidung den ehelichen Lebensstandard bestimmt haben. Maßstab für die Verteilung zwischen den geschiedenen Ehegatten könne nur das verteilungsfähige Einkommen sein, das bis zur Scheidung zu Unterhaltszwecken verwendet werden konnte.
Die Erhöhung eines konkret zu errechnenden Betrages auf einen abstrakten tabellarischen Wert finde im Gesetz keine Stütze. Eine Abweichung komme nur bei konkreten Feststellungen zu bedarfserhöhenden Umständen in Betracht. Der eheliche Lebensstandard sei grundsätzlich individuell angelegt. Er könne wirtschaftlich über oder auch unter dem Niveau von Tabellenwerten liegen, die in der Regel auf querschnittlich ermittelten Kosten der allgemeinen Lebensführung beruhen und Besonderheiten nicht berücksichtigten.
Hinweis
Die Rechtsprechung des BGH ist nicht ohne Kritik geblieben. Seine Ansicht, der den ehelichen Lebensverhältnissen entsprechende Bedarf sei, auch in beengten Verhältniss...