Dr. Wolf-Dietrich Deckert†
Normenkette
§ 23 WEG, § 24 WEG
Kommentar
1. Im vorliegenden Fall hatte ein Verwalter zur Versammlung eingeladen, obwohl er schon zu diesem Zeitpunkt nicht mehr im Amt war. Nach überwiegender Auffassung sind allerdings Beschlüsse, die in einer durch eine unzuständige Person einberufenen Eigentümerversammlung gefasst werden, zwar rechtswidrig und anfechtbar, aber nicht ohne weiteres nichtig (vgl. auch BayObLG, MDR 82, 323; OLG Frankfurt, OLGZ 85, 132; OLG Düsseldorf, UWE 89, 25 ;KG Berlin, OLGZ 90, 421 = WM 90, 363).
Gegen die von Lüke (Weitnauer-Lüke, 8. Auflage 1995, § 23 Rn. 15) vertretene Auffassung, dass der Einladungsmangel zur Nichtigkeit der Beschlüsse führe, spricht, dass es sich bei § 24 Abs. 1, 2 und 3 WEG nicht um zwingendes Recht, sondern um verzichtbare Regelungen (also abdingbares Recht) handelt. Ein Verstoß gegen abdingbares Recht führt aber grundsätzlich nicht zur Nichtigkeit, sondern nur zur Anfechtbarkeit von Beschlüssen. Die Grundsätze der herrschenden Meinung sind auch anwendbar auf Fälle, in denen ein "Verwalter" bei nicht oder nicht rechtswirksam erfolgter Wahl, jedoch praktischem Betreiben der Verwaltergeschäfte, eine Versammlung einberuft (so genannter Schein- oder Pseudoverwalter). Auch in diesen Fällen kann nicht davon ausgegangen werden, dass insoweit ein solch gravierender Mangel vorliegt, der es rechtfertigte, die auf der Versammlung getroffenen Beschlüsse nur als "Scheinbeschlüsse" anzusehen, die ohne Weiteres unwirksam und nichtig sind.
2. Eine Anfechtung wegen solcher und ähnlicher Formfehler bleibt auch erfolglos, wenn Beschlüsse auch ohne den Einberufungsmangel ebenso zustande gekommen wären. Im vorliegenden Fall hatte die Beschlussanfechtung Erfolg, da davon auszugehen war, dass der Einberufungsfehler für die Beschlussfassung ursächlich war. Man muss von der Vermutung der Ursächlichkeit eines Fehlers für den Beschluss ausgehen; eine Anfechtung bleibt nur dann erfolglos, wenn ohne den Fehler der Beschluss ebenso zustande gekommen wäre. Im vorliegenden Fall wurde die Vermutung nicht widerlegt.
Link zur Entscheidung
( OLG Köln, Beschluss vom 09.01.1996, 16 Wx 214/95= WM 4/1996, 246 = DWE 2/1996, 77 mit dortigem Zitat Beschluss v. 3. 1. 1996)
Zu Gruppe 4: Wohnungseigentumsverwaltung
Anmerkung:
Die Formvorschriften des § 24 WEG zu Versammlungsformalien sind tatsächlich nach h.R.M. dispositiver (abdingbarer) Natur, sodass davon abweichende "Zitterbeschlüsse" ohne erfolgte fristgemäße Anfechtung verbindlich und bestandskräftig werden.
Was Kausalitätsüberlegungen in Anfechtungsverfahren unter Hinweis auf Formmängel der Beschlussfassung betrifft, ist wohl nach h.R.M. von der Vermutung zu Gunsten eines anfechtenden Eigentümers auszugehen, dass bei Vermeidung des Formfehlers der Beschluss nicht bzw. nicht mit dem entsprechenden Inhalt zustande gekommen wäre. Diese Vermutung müsste im Prozess widerlegt werden, um dem Gericht die Überzeugung zu vermitteln, dass auch bei Vermeidung des Formfehlers gleiches Beschlussergebnis zu erwarten gewesen wäre. Dies müsste zur Überzeugung des Gerichts sogar feststehen. Ein anfechtender Antragsteller sollte sich deshalb in seiner Antragsbegründung nicht allein auf den von ihm gerügten Versammlungs-Formfehler stützen, sondern unter Beweisantritt vortragen, dass und warum bei Vermeidung des Formfehlers (z.B. und insbesondere bei nicht erfolgter Einladung an ihn) ein anderes Beschlussergebnis zu erwarten gewesen wäre.