1 Leitsatz
Ein Beschluss nach § 23 Abs. 3 Satz 2 WEG muss erkennen lassen, für welche Gegenstände die Mehrheit der abgegebenen Stimmen genügen soll.
2 Normenkette
§ 23 Abs. 3 Satz 2 WEG
3 Das Problem
Die Wohnungseigentümer beschließen am 12.1.2021 zu einem TOP 1 wie folgt: "Die Eigentümerversammlung beschließt – unter Vorbehalt der positiven Prüfung – dass an allen Einheiten Balkone Richtung Hinterhof angebaut werden. Im Rahmen der Dachsanierung soll geprüft werden, ob Balkone angebaut werden können. Soweit ein Anbau von Balkonen möglich ist und eine entsprechende Baugenehmigung hinreichend wahrscheinlich ist, sollen konkrete Angebote und Fördermöglichkeiten eingeholt werden. Die Angebotsauswahl, das weitere Vorgehen, die Einschaltung von Beratern sowie die Erhebung eines Regieaufwands der Hausverwaltung und eine mögliche Sonderumlage kann per Umlaufverfahren beschlossen werden. Hierfür gilt Stimmmehrheit nach § 23 Abs. 3 Satz 2 WEG." Zu TOP 2 beschließen sie ferner, dass "finale Beschlüsse im Rahmen der Angebotsauswahl für die Modernisierung der Stromzähler, vgl. TOP 10 ETV vom 5.10.2020, über Mehrheitsbeschluss im Umlaufverfahren nach § 23 Abs. 3 Satz 2 WEG gefasst werden können".
Im März 2021 initiiert der Verwalter auf diesen 2 Grundlagen Beschlüsse außerhalb der Versammlung, die jeweils eine Mehrheit finden. Er verkündet im Anschluss folgende Entscheidungen:
- Zu TOP 1.1: An die Einheiten Nr. 3, Nr. 4 und Nr. 5 werden Balkone (ca. 5 m2) angebaut. Für die Einheiten Nr. 1 und Nr. 2 wird ein Sondernutzungsrecht für entsprechend große Abschnitte im Gemeinschaftsgarten zur separaten Terrassennutzung (ca. 8 m2) eingeräumt.
- Zu TOP 2.1: Im Rahmen der Modernisierung der Stromzähler wird der Sicherungskasten der Einheit Nr. 1 innerhalb des Sondereigentums verlegt. Da es sich hierbei um Sondereigentum handelt, sind die Kosten durch Wohnungseigentümerin K zu tragen.
- Zu TOP 2.2: Wohnungseigentümer X wird aufgrund seiner fachlichen Kenntnisse sowie freiberuflichen Tätigkeit als Ingenieur mit der baubegleitenden Qualitätssicherung beauftragt. Für die Tätigkeiten erhält er eine Aufwandsentschädigung in Höhe von 555 EUR (5 % der veranschlagten Aufwendungen).
Gegen diese 3 Beschlüsse wendet sich Wohnungseigentümerin K. Sie meint vor allem, dass alle Wohnungseigentümer den Beschlüssen hätten zustimmen müssen.
4 Die Entscheidung
Teilweise mit Erfolg! Der Beschluss zu TOP 2.1 habe nicht mehrheitlich gefasst werden können. Denn der Beschluss nach § 23 Abs. 3 Satz 2 WEG habe es nur erlaubt, ein Angebot auszusuchen. Auch der Beschluss zu TOP 1.1 habe nicht mehrheitlich gefasst werden können. Er befasse sich mit einer Abänderung der Balkonanzahl und gehe damit über den Beschluss vom 12.1.2021 hinaus. Der Beschluss zu TOP 2.2 sei hingegen nicht zu beanstanden. Der Beschluss vom 12.1.2021 habe die Auswahl des Miteigentümer Z als Baubegleiter eingeschlossen.
5 Hinweis
Problemüberblick
Die Wohnungseigentümer können einen Beschluss in der Versammlung fassen. Sie können einen Beschluss aber auch außerhalb der Versammlung fassen. Gleichsam ein "Zwitter" ist ein Beschluss außerhalb der Versammlung, dem aber nur die Mehrheit der Wohnungseigentümer zustimmen muss. Denn er ist in der Regel erst möglich, nachdem die Wohnungseigentümer dazu in einer Versammlung die Grundlagen gelegt haben.
Möglichkeiten der Beschlussfassung
Angelegenheiten, über welche die Wohnungseigentümer nach dem WEG oder nach einer Vereinbarung durch Beschluss entscheiden können, werden gem. § 23 Abs. 1 Satz 1 WEG durch eine Beschlussfassung in einer Versammlung der Wohnungseigentümer geordnet (Versammlungsbeschluss). Daneben besteht die Möglichkeit, nach § 23 Abs. 3 Satz 1 WEG einen Beschluss zu fassen (Beschluss außerhalb der Versammlung).
Einem Beschluss außerhalb der Versammlung müssen nach § 23 Abs. 3 Satz 1 WEG grundsätzlich alle Wohnungseigentümer zustimmen. Die Wohnungseigentümer können nach § 23 Abs. 3 Satz 2 WEG aber auch beschließen, dass bei einem Beschluss außerhalb der Versammlung für einen einzelnen Gegenstand die Mehrheit der abgegebenen Stimmen genügt (Absenkungsbeschluss). Dieser Absenkungsbeschluss ist in einer Versammlung oder – theoretisch – außerhalb der Versammlung zu fassen. Er bedarf nach § 25 Abs. 1 WEG der Mehrheit der abgegebenen Stimmen, wenn er in einer Versammlung gefasst wird. Wird er außerhalb der Versammlung gefasst, müssen hingegen alle Wohnungseigentümer zustimmen (§ 23 Abs. 1 Satz 1 WEG).
Ein Absenkungsbeschluss muss nach h. M. bei der Einberufung nicht gem. § 23 Abs. 2 WEG bereits "bezeichnet" (= angekündigt) werden. Notwendig, aber ausreichend ist also, dass der Gegenstand, auf den der Beschluss nach § 23 Abs. 3 Satz 2 WEG abzielt, bereits auf der Tagesordnung stand, und dass über ihn in der Versammlung eigentlich beschlossen werden sollte. Ein Absenkungsbeschluss muss einen "einzelnen Gegenstand" betreffen. Es besteht keine Möglichkeit, nach § 23 Abs. 3 Satz 2 WEG allgemein zu bestimmen, dass sämtliche Gegenstände künftig nur noch außerhalb der Versammlung mit der Mehrheit der abgegebenen Stimmen beschlossen w...