Dr. Wolf-Dietrich Deckert†
Leitsatz
Zur Aussetzung des Verfahrens
Normenkette
§ 23 Abs. 1 WEG, § 148 ZPO
Kommentar
1. Auf Antrag eines Eigentümers wurde zur Abstimmung folgender Antrag gestellt:
Die Wohnungseigentümer sind damit einverstanden, dass die von den Miteigentümern (Antragsgegner) verlegten Trittplatten vor ihrer plattierten Terrasse dort verbleiben können.
Abstimmungsergebnis:
1 Gegenstimme
1 Enthaltung
Mehrheitlich angenommen.
Vorliegend war von einem Eigentümerbeschluss auszugehen. Für die Unterscheidung, ob ein Beschluss vorliegt oder nicht, ist in aller Regel der Umstand maßgebend, ob "mehr als die Hälfte der Abstimmenden für den Antrag gestimmt haben". Wird die einfache Mehrheit nicht erreicht, so liegt in der Regel kein Beschluss vor. Wenn es nach den Umständen zweifelhaft sein kann, ob die für den Antrag abgegebene Zahl der Stimmen für die Annahme des Antrags genügt, dann ist § 23 Abs. 4 WEG (Anfechtung) anzuwenden. Dies setzt jedoch voraus, dass mindestens die Möglichkeit besteht, in oder nach der Eigentümerversammlung werde der Antrag, wenn auch nur von einzelnen Beteiligten, als angenommen angesehen. Kann dagegen nach den Umständen des Einzelfalles für alle Beteiligten kein Zweifel daran bestehen, dass der Antrag wegen Nichterreichens der erforderlichen Stimmenzahl abgelehnt wurde und ein Beschluss mithin nicht zustande gekommen ist, bedarf es nicht der Anfechtung nach § 23 Abs. 4 WEG, § 43 Abs. 1 Nr. 4 WEG (BayObLG, WM 97, 344 und ZMR 98, 643).
2. Auch ein angefochtener Beschluss ist zunächst gültig, d.h. so lange gültig, bis er nicht durch das Gericht nach § 43 Abs. 1 Nr. 4 WEG für ungültig erklärt wird.
3. Nach § 148 ZPO kann das Gericht ein Verfahren aussetzen, wenn die Entscheidung vom Bestehen oder Nichtbestehen eines Rechtsverhältnisses abhängt, das den Gegenstand eines anderen anhängigen Rechtsstreites bildet. § 148 ZPO ist im WE-Verfahren entsprechend anzuwenden. Die Aussetzung ist im Wesentlichen eine richterliche Ermessensentscheidung, bei der zu prüfen ist, ob nicht die besondere Art des Verfahrens der Aussetzung entgegensteht und ob den Beteiligten die Verzögerung zugemutet werden kann. Es beruht jedenfalls nicht auf einem Rechtsfehler, wenn das Landgericht vorliegend ein Verfahren nicht ausgesetzt hat.
4. Keine außergerichtliche Kostenerstattung im Rechtsbeschwerdeverfahren bei Geschäftswert aller Rechtszüge von DM 5.000.
Link zur Entscheidung
( BayObLG, Beschluss vom 15.10.1998, 2Z BR 126/98)
zu Gruppe 5: Rechte und Pflichten der Miteigentümer
Anmerkung:
Zumindest (sicher ungewollt) etwas missverständlich erscheint mir die Aussage des Senats, dass in aller Regel für das Zustandekommen eines Beschlusses der Umstand maßgebend sein soll, dass "mehr als die Hälfte der Abstimmenden für einen Antrag gestimmt haben" (eindeutig jedoch BayObLG, Entscheidung v. 28. 10. 1998, 2Z BR 116/98). Im Wohnungseigentumsrecht ist von einem einfachen Mehrheitsbeschluss dann auszugehen, wenn zu einem gestellten Antrag "mehr Ja- als Nein-Stimmen" abgegeben wurden, wobei mangels anderweitiger Vereinbarungs- oder Beschlussregelung Enthaltungsstimmen nicht in eine Wertung miteinbezogen werden. Etwas anderes gilt allein bei (nach Gesetz oder Gemeinschaftsordnung) festgelegten qualifizierten Mehrheitserfordernissen, wobei auch das Erfordernis einer absoluten Mehrheit (mehr als die Hälfte positiver Stimmen aller oder - je nach Vereinbarungsregelung - evtl. nur der in der Versammlung anwesenden und vertretenen Stimmen) weitergehende Beschlusserfordernisse aufstellen kann. Stellt man auf "mehr als die Hälfte der Abstimmenden" ab, geht ein solches Abstimmungsbild bereits in die Richtung eines Beschlusses mit absoluter Mehrheit bzw. qualifizierter Mehrheit von mehr als der Hälfte der Stimmen in der beschlussfähigen Versammlung (evtl. sogar aller 100% Stimmen).
Sind also beispielsweise in einer beschlussfähigen Eigentümerversammlung 10 von insgesamt 15 Eigentümern anwesend oder rechtswirksam vertreten und stimmen zwei Eigentümer über einen Antrag mit Ja, einer mit Nein und enthalten sich die restlichen sieben Eigentümer, ist grundsätzlich von einem einfachen Mehrheitsbeschluss auszugehen (also auch in diesem Fall, in dem nicht mehr als die Hälfte der Abstimmenden für den Antrag gestimmt haben). Gleiches gilt m.E. auch bei nur einer Ja-Stimme, keiner Gegenstimme und neun Stimmenthaltungen. Ein absolutes Mehrheitserfordernis kennt allein das Bruchteilsgemeinschaftsrecht nach den §§ 741ff. BGB, § 745 BGB.
Zu Recht sollten entsprechende Zweifel zum Zustandekommen eines Beschlusses allein über form- und fristgemäße Anfechtung geklärt werden. Im umgekehrten Falle, also bei verkündeter und protokollierter Ablehnung eines Beschlusses bzw. eines Antrages könnte Feststellungsantrag bei Gericht gestellt werden, dass von einem Mehrheitsbeschluss aufgrund des Abstimmungsergebnisses auszugehen gewesen wäre; nach wie vor bin ich der Auffassung, dass auch ein solcher Antrag "vorsorglich" innerhalb der 1-monatigen Anfechtungsfrist gestellt werden sollte (strittig)...