Leitsatz
Die Ausübung des Rechtes zur Anfechtung eines Beschlusses der Eigentümerversammlung kann im Einzelfall als rechtsmißbräuchlich angesehen werden, wenn das Verfahren nach fristgerechter Anfechtung durch Nichteinzahlung des angeforderten Kostenvorschusses jahrelang nicht betrieben wird und die Anfechtungsgegner aufgrund des Beschlußgegenstandes mangels Kenntnis von der Anfechtung darauf vertrauen konnten, daß der Beschluß bestandskräftig geworden ist.
Sachverhalt
In einer Eigentümerversammlung Mitte des Jahres 1990 genehmigten die Wohnungseigentümer u.a. die Wohngeldabrechnung für das Vorjahr und entlasteten den Verwalter. Eines der Mitglieder der Wohnungseigentümergemeinschaft hatte kurz darauf das gerichtliche Beschlußanfechtungsverfahren zwar unter Einhaltung der gesetzlichen Anfechtungsfrist eingeleitet, die Beschlußanfechtung im wesentlichen jedoch nicht begründet, und überdies den vom Gericht angeforderten Kostenvorschuß nicht eingezahlt. Eine entsprechende Zahlung erfolgte erst im September 1996. Die Instanzgerichte hatten den entsprechenden Antrag des Wohnungseigentümers mittlerweile als unzulässig zurückgewiesen.
Entscheidung
Auch das Oberlandesgericht als letzte Rechtsmittelinstanz schloß sich dieser rechtlichen Beurteilung an. Mittlerweile mußte das Verfahren nämlich nach Zeitablauf von über 6 Jahren als rechtsmißbräuchlich beurteilt werden. Zum verfahrensrechtlichen und tatsächlichen Hintergrund folgende Vorbemerkung: Ein Antrag bzw. eine Klage wird im Bereich der freiwilligen Gerichtsbarkeit ebenso wie im Zivilverfahren dem Gegner erst dann zugestellt, wenn der Antragende oder Kläger auch tatsächlich den angeforderten Kostenvorschuß eingezahlt hat. Der Gegner erhält von einem gegen ihn eingeleiteten Verfahren also erst zu diesem Zeitpunkt Kenntnis.
Der Grundsatz von Treu und Glauben, der des öfteren im Bereich des Zivilrechts begegnet, ist auch im prozessualen Verfahren zu beachten. Wobei es in diesem Zusammenhang grundsätzlich keine Rolle spielt, ob es sich um ein Verfahren der freiwilligen Gerichtsbarkeit oder aber einen "normalen" - kontradiktorischen oder streitigen - Zivilprozeß handelt. Jeder am Verfahren Beteiligte hat die prozessuale Pflicht auch im Streitfall auf die Belange des Gegners Rücksicht zu nehmen.
Dieses Fairneßgebot kann nun - wie auch in diesem Fall - dazu führen, daß die Einlegung eines Rechtsmittels oder aber die Fortführung eines Verfahrens zumindest dann als rechtsmißbräuchlich anzusehen ist, wenn der Gegner aufgrund langen Zeitablaufs mittlerweile darauf vertrauen konnte, nicht mehr in Anspruch genommen zu werden. Prozessuale Rechte müssen also so rechtzeitig wahrgenommen werden, daß sich der Gegner darauf einstellen kann.
Die Anfechtung eines Wohnungseigentümerbeschlusses muß nach § 23 Abs. 4 WEG binnen Monatsfrist erfolgen. Sinn und Zweck einer solchen Frist ist es, allen Wohnungseigentümern alsbald nach der Beschlußfassung Klarheit darüber zu verschaffen, ob der gefaßte Beschluß Bestand hat oder nicht. Effektiv kann eine derartige Frist aber auch nur dann sein, wenn nicht nur die Monatsfrist zur Beschlußanfechtung eingehalten wird, sondern darüber hinaus auch in angemessenen Zeiträumen weitere notwendige Verfahrenshandlungen vorgenommen werden. Dies gilt insbesondere in den Fällen, in denen nach gewissem Zeitablauf ein Vertrauenstatbestand bei den anderen am Verfahren Beteiligten entstehen muß.
Und gerade so lag der Fall auch hier. Bei den angefochtenen Beschlüssen handelte es sich durchweg um vollkommen normale und übliche Beschlüsse laufender Verwaltung, an deren Beschlußfassung der anfechtende Wohnungseigentümer auch teilgenommen hatte. Erhalten nun aber die Wohnungseigentümer über einen Zeitraum von sechs Jahren keine Kenntnis davon, daß diese üblichen Beschlüsse angefochten worden sind, so können sie darauf vertrauen, daß sie bestandskräftig geworden sind. Eine ordnungsgemäße Verwaltung wäre im anderen Fall wohl auch undenkbar.
Link zur Entscheidung
OLG Düsseldorf, Beschluss vom 17.10.1997, 3 Wx 321/97
Fazit:
Die/der eine oder andere wird sich sicherlich fragen, warum denn das Gericht das Verfahren nicht längst eingestellt oder den Antrag als unzulässig abgewiesen hatte, nachdem jahrelang kein Kostenvorschuß eingezahlt wurde. Die Ansicht der Mehrzahl der Gerichte geht in diesem Zusammenhang dahin, daß dies gegen prozeßrechtliche Grundsätze verstoße. Das Gericht könne einen Antrag also nicht deshalb zurückweisen, weil der Vorschuß nicht eingezahlt worden sei. In einem solchen Fall trete lediglich das Ruhen des Verfahrens ein. Manche Instanzgerichte ignorieren diese Rechtsprechung und weisen tatsächlich bei Nichtzahlung des Kostenvorschusses innerhalb der vom Gericht gesetzten Frist entsprechende Anträge als unzulässig zurück. Mit der herrschenden Gerichtsauffassung kann demgegenüber das Verfahren selbst jederzeit - nach Einzahlung des geforderten Kostenvorschusses - fortgesetzt werden.
Wie diese Entscheidung aber weiter zeigt, kann es nach überlangem Zeitablauf dazu...