Leitsatz
Allstimmige Beschlüsse, die auf Dauer für die Instandsetzung und Instandhaltung einen vom Gesetz oder der Gemeinschaftsordnung (im Teilungsvertrag oder in der Teilungserklärung) abweichenden Umlageschlüssel in Bezug auf genehmigte bauliche Veränderungen festlegen und nicht nur punktuell im Einzelfall einen fortbestehenden Schlüssel durchbrechen, sind keine Vereinbarungen und deshalb mangels Beschlusskompetenz nichtig.
Normenkette
§§ 10, 16 Abs. 4, 22 Abs. 1, 43 Nr. 4
Das Problem
In der Gemeinschaftsordnung heißt es wie folgt:
"Für die Instandhaltung der ausschließlich ihrem Sondernutzungsrecht unterliegenden Flächen, Anlagen und Einrichtungen haben die jeweils berechtigten Sondereigentümer zu sorgen." In § 8 TV heißt es "Jeder Sondereigentümer trägt diejenigen auf sein Sondereigentum entfallenden Kosten und Lasten allein, für die eigene Messvorrichtungen vorhanden sind oder die sonst in einwandfreier Weise festgestellt werden können." … "Soweit Kosten und Lasten nicht einem Sondereigentum entsprechend Abs. 1 zuzuordnen sind, diese von den Eigentümern im Verhältnis ihrer Miteigentumsanteile zu tragen."
- Auf einer Versammlung im Sommer 2015 wird es Wohnungseigentümer A mit dem mehrheitlich gefassten Beschluss zu TOP 5.1 gestattet, die auf seiner Sondernutzungsfläche vorhandene Terrasse zu vergrößern und die umliegenden Bereiche in bestimmter Weise gärtnerisch zu gestalten. Die Kosten der Herstellung und der künftigen Instandhaltung soll A allein tragen. Mit dem allstimmigen Beschluss zu TOP 6.1 wird es Wohnungseigentümer B gestattet, seine Sondernutzungsfläche mit einer zusätzlichen Terrasse zu bebauen. Die Kosten der Herstellung und der künftigen Instandhaltung soll B allein tragen. Mit allstimmigen Beschluss zu TOP 6.2 wird es schließlich Wohnungseigentümer C gestattet, auf seiner Sondernutzungsfläche die Fläche vor den Fenstern des Hobbyraums 2 seines Sondereigentums abzugraben. Die Kosten der Herstellung und der künftigen Instandhaltung soll C tragen.
- Gegen diese Beschlüsse geht Wohnungseigentümer K im Wege der Nichtigkeitsfeststellungsklage vor. Das Amtsgericht stellt auf diese Klage fest, dass alle 3 Beschlüsse nichtig sind. Dem stehe nicht entgegen, dass wenigstens die Beschlüsse zu TOP 6.1 und 6.2 "allstimmig" gefasst worden seien. Die Wohnungseigentümer könnten nicht entgegen der Gemeinschaftsordnung den Umlageschlüssel für einzelne Bereiche oder Gegenstände hinsichtlich der Instandhaltungs- und lnstandsetzungsmaßnahmen auf Dauer verändern. Gegen diese Beurteilung wendet sich die Berufung.
Die Entscheidung
Ohne Erfolg! Das Amtsgericht habe zu Recht festgestellt, dass die zu TOP 5.1, 6.1 und 6.2 gefassten Beschlüsse (insgesamt) nichtig seien.
Rechtsschutzbedürfnis
Wohnungseigentümer K, der den Beschlüssen zugestimmt habe, fehle für die Nichtigkeitsfeststellungsklage dennoch nicht das Rechtsschutzbedürfnis. Ein nichtiger Beschluss entfalte zwischen den Wohnungseigentümern keine Rechtswirkungen und könne nicht in Bestandskraft erwachsen. Die Nichtigkeit trete von Anfang an ein, nicht erst durch Geltendmachung in einem gerichtlichen Verfahren; eine gerichtliche Entscheidung habe nur deklaratorische Bedeutung. Bestehe Streit über die Wirksamkeit eines Beschlusses, stehe das Recht zur Erhebung einer Nichtigkeitsfeststellungsklage daher jedem Wohnungseigentümer zu. Für die Frage des Rechtsschutzinteresses sei es ohne Bedeutung, ob der klagende Wohnungseigentümer für oder gegen den Beschluss gestimmt habe (Hinweis auf BGH v. 1.6.2012, V ZR 225/11, NJW 2012 S. 2578 Rn. 9).
Beschlusskompetenz: Änderung eines Sondernutzungsrechts
- Die Frage der Reichweite der Beschlusskompetenz gemäß § 16 Abs. 4 WEG könne nicht schon deshalb dahinstehen, weil die zu TOP 5.1, 6.1 und 6.2 gefassten Beschlüsse eine Änderung des Sondernutzungsrechts der betroffenen Wohnungseigentümer enthielten und dies nicht wirksam durch Beschluss geregelt werden könne.
- Zwar könne eine inhaltliche Änderung des Sondernutzungsrechts ebenso wie seine Begründung nur durch Vereinbarung erfolgen (Hinweis auf BGH v. 20.9.2000, V ZB 58/99, NJW 2000 S. 3500). Es gehe jedoch nicht um Änderungen der betroffenen Sondernutzungsrechte in räumlicher oder inhaltlicher Hinsicht. Die Vergrößerung einer Terrasse (TOP 5.1), die Anlegung einer Terrasse (TOP 6.1) oder die Abgrabung des Geländes zur besseren Belichtung von Kellerfenstern (TOP 6.2) auf Sondernutzungsflächen seien jeweils als bauliche Veränderung im Sinne von § 22 Abs. 1 WEG zu qualifizieren, änderten das jeweilige Sondernutzungsrecht aber nicht. Für die Beschlussfassung über bauliche Veränderungen gebe es aber eine Beschlusskompetenz.
Beschlusskompetenz: Kosten
Den Wohnungseigentümern habe indessen die Beschlusskompetenz gefehlt, den betroffenen Sondernutzungsberechtigten die Folgekosten der von ihnen angestrebten baulichen Veränderungen aufzuerlegen. Die Beschlusskompetenz folgte insbesondere nicht aus § 16 Abs. 4 WEG. Gegenstand der Beschlüsse sei kein Einzelfall im Sinne dieser Vorschrift gewesen.