Leitsatz
Hintergrund:
Der 2005 durch das "UMAG" eingeführte § 131 Abs. 2 Satz 2 AktG bestimmt, dass die Satzung oder Geschäftsordnung den Versammlungsleiter ermächtigen kann, das Frage- und Rederecht der Aktionäre zeitlich angemessen zu beschränken. Bisher macht die Unternehmenspraxis von dieser Möglichkeit aber nur zögerlich Gebrauch; entsprechende Satzungsklauseln erschöpfen sich in der Regel in der Wiedergabe des Gesetzestextes. Konkrete zeitliche Vorgaben zur Höchstdauer einzelner Aktionärsbeiträge oder zur Gesamtdauer der gesamten Fragerunde sucht man in der Satzung dagegen in aller Regel vergebens. Hierzu trug zweifellos auch ein Urteil des OLG Frankfurt aus dem Jahr 2008 bei, das aufgrund verfassungsrechtlicher Bedenken abstrakte, nicht am Einzelfall orientierte Vorgaben für die Rede- und Fragezeit der Aktionäre als unzulässig erachtete.
BGH-Urteil:
Der BGH hat das Urteil des OLG Frankfurt nun aufgehoben und damit den Weg für eine klarere Regelung der Hauptversammlungsdauer durch die Satzung frei gemacht. Konkret hielt er eine Satzungsklausel für zulässig, die dem Versammlungsleiter folgende Rechte einräumte:
Beschränkung der Dauer der Hauptversammlung in der Regel auf höchstens 6, bei Behandlung wesentlicher unternehmenspolitischer Beschlusspunkte auf höchstens 10 Stunden;
Beschränkung der Rede- und Fragezeit eines Aktionärs pro Wortmeldung auf 15, insgesamt auf 45 Minuten und Anordnung des Debattenschlusses um 22.30 Uhr, um mit der Abstimmung zu den Tagesordnungspunkten zu beginnen.
Im Hinblick auf die vom OLG Frankfurt geäußerten verfassungsrechtlichen Bedenken führte der BGH aus, dass nicht nur das Rede- und Fragerecht der Aktionäre, sondern auch der Schutz der Hauptversammlungsteilnehmer vor einer missbräuchlichen Handhabung des Rede- und Fragerechts durch einzelne Aktionäre vom verfassungsrechtlichen Schutz des Eigentums umfasst wird. Den Konflikt zwischen diesen Verfassungsgütern könne aber keiner besser regeln als die betroffenen Grundrechtsträger (also die Hauptversammlung) selbst. Eine inhaltliche Regelung der Ermächtigung des Versammlungsleiters unter Bestimmung von konkreten Zeitrahmen, die dann im Einzelfall vom Versammlungsleiter nach pflichtgemäßem Ermessen zu konkretisieren sind, hält der der BGH daher für grundsätzlich zulässig.
Hinweis
Die satzungsmäßige Regelung konkreter zeitlicher Vorgaben für die Hauptversammlungsdauer empfiehlt sich nicht nur im Hinblick darauf, dem Versammlungsleiter einen Leitfaden an die Hand zu geben. Von in der Praxis weitaus größerer Bedeutung ist es, dass sich damit das Risiko missbräuchlicher Anfechtungsklagen reduzieren lässt. In der Hauptversammlungspraxis kommt es nämlich immer wieder vor, dass einzelne Aktionäre durch überlange Redebeiträge oder Fragen den Versammlungsleiter zu einer Begrenzung ihrer Redezeit provozieren und hierauf gestützt die in der Hauptversammlung gefassten Beschlüsse anfechten. Enthält die Satzung aber konkrete Vorgaben für die regelmäßige Redezeit, kann sich ein Aktionär allenfalls noch darauf stützen, dass ihm aufgrund der außergewöhnlich hohen Bedeutung seines Redebeitrags eine längere Frage- und Redezeit eingeräumt werden musste als den anderen Aktionären. Dass es einem anfechtenden Aktionär (zumal wenn es sich dabei um einen Aktionär handelt, der dies bekanntermaßen "geschäftsmäßig" betreibt) in einem Anfechtungsprozess schwer fallen wird, diese Behauptung unter Beweis zu stellen, liegt auf der Hand.
Link zur Entscheidung
BGH, Urteil vom 08.02.2010, II ZR 94/08