Leitsatz
Zentrales Problem dieser Entscheidung war die Frage, welche Stellung die Großmutter eines Kindes in einem von ihr eingeleiteten Verfahren nach § 1666 BGB hat und ob ihr ein Beschwerderecht gegen eine in diesem Verfahren ergangene Sachentscheidung zusteht.
Sachverhalt
Die Mutter eines im Jahre 2007 geborenen Kindes war nicht in der Lage, für das Kind zu sorgen, das seit kurz nach der Geburt bei seiner Großmutter lebte. Am 3.12.2007 wurde von der Kindesmutter und deren Mutter eine notarielle Urkunde errichtet, wonach die Großmutter mit Zustimmung der Kindesmutter die häusliche Pflege für das Kind übernommen hatte. Die Kindesmutter hatte weiter erklärt, dass sie für den Fall, dass sie aus gesundheitlichen Gründen nicht in der Lage sein sollte, das Sorgerecht für das Kind auszuüben und für den Fall ihres Todes wünsche, dass das Sorgerecht für ihre Tochter auf ihre Mutter übertragen werde.
Der Kindesvater hatte die Vaterschaft für das Kind anerkannt. Die Kindesmutter hatte zwei weitere Kinder im Alter von zwei und drei Jahren, die nicht bei ihr lebten und anderweitig untergebracht waren. Sie zeigte seit der Geburt kein Interesse an der Erziehung, Pflege und Betreuung ihres im Jahre 2007 geborenen Kindes, obgleich sie bis zum Jahreswechsel 2007/2008 im Haushalt ihrer Mutter im gleichen Hause gewohnt hatte.
Die Großmutter beantragte vor dem AG das alleinige Sorgerecht für die im Jahre 2007 geborene Tochter, hilfsweise das Aufenthaltsbestimmungsrecht, das Recht zur Vermögenssorge sowie das Recht zur Gesundheitsfürsorge.
Das Jugendamt befürwortete den Entzug des elterlichen Sorgerechts ggü. der Kindesmutter und die Übertragung der elterlichen Sorge auf die Großmutter.
Das AG hat die Kindesmutter, die Großmutter und das Jugendamt am 16.4.2008 persönlich angehört und sodann einen Beschluss verkündet, durch den der Kindesmutter die elterliche Sorge für ihre Tochter entzogen wurde. Zum Vormund wurde die Großmutter bestellt.
Der Beschluss des AG wurde am 22.5.2008 berichtigt und der Kindesmutter das Aufenthaltsbestimmungsrecht, das Recht zur Vermögenssorge, das Recht zur Gesundheitsfürsorge sowie das Recht zur Beantragung sozialer Leistungen für die Tochter entzogen und zum Pfleger die Großmutter bestimmt.
In seiner Begründung hat das AG ausgeführt, die gegebenen Umstände reichten für einen gänzlichen Entzug der elterlichen Sorge nicht aus, da es hier am Grundsatz der Verhältnismäßigkeit fehle. Es gebe als milderes Mittel die teilweise Übertragung bestimmter Maßnahmen der Personensorge auf einen Pfleger. Demzufolge sei ein Pfleger gemäß § 1909 zu bestellen.
Gegen den Beschluss vom 16.4.2008 richtete sich die befristete Beschwerde der Großmutter, mit der sie ihre erstinstanzlichen Anträge weiterverfolgte. Ihr Rechtsmittel blieb erfolglos.
Entscheidung
Das OLG vertrat die Auffassung, die Großmutter sei nicht formell Beteiligte des Verfahrens gemäß § 1666 BGB.
Sie sei nur materiell beteiligt, dies jedoch nur mittelbar. Ein mittelbares Interesse führe jedoch nicht zur formalen Beteiligung am Verfahren, selbst wenn dieses Interesse ein rechtliches sei (OLG Hamburg OLGReport Hamburg 2008, 607).
Eigene Rechte der Großmutter seien durch das vorliegende Sorgerechtsverfahren nicht berührt. § 1666 BGB betreffe Fälle der subjektiven Ungeeignetheit des Sorgerechtsinhabers, die Sorge für das gefährdete Kind ohne Eingreifen des FamG weiter auszuüben. Die §§ 1666 ff. BGB enthielten die Ermächtigung für staatliche Eingriffe in die Personen- und Vermögenssorge der Eltern. Rechte der Großeltern, auch wenn sie aus Art. 6 GG abzuleiten seien, würden durch ein Verfahren gemäß § 1666 BGB nicht direkt berührt.
Gegen eine formelle Beteiligung der Großmutter spreche auch, dass ihr gemäß §§ 621e, 629 Abs. 3 ZPO, 64 Abs. 3 S. 3, 57 Abs. 2 FGG kein Beschwerderecht gegen die Sachentscheidung zustehe. In Familiensachen finde § 57 Abs. 1 Nr. 9 FGG nach § 64 Abs. 3 S. 3 FGG grundsätzlich keine Anwendung. Diese Regelung bewirke, dass der Eintritt der formalen Rechtskraft der Entscheidung nicht lange ungewiss bleibe.
Die Großmutter sei auch als Pflegeperson i.S.d. § 1688 nicht Verfahrensbeteiligte im Verfahren auf Entzug der elterlichen Sorge. Für die formelle Beteiligung reiche es nicht aus, dass sie durch das Verfahren in ihren eigenen Interessen und Befugnissen betroffen sei. Voraussetzung sei vielmehr, dass ihr kraft Gesetzes ein eigenes Antrags- oder zumindest Beschwerderecht zustehe, an dem es hier fehle.
Die Großmutter sei auch nicht beschwerdeberechtigt i.S.v. § 20 FGG. Nach dieser Vorschrift komme die Beschwerde nur bei einem unmittelbaren Eingriff in ein zum Zeitpunkt der Entscheidung bestehendes subjektives Recht in Betracht. An einem derartigen subjektiven Recht fehle es hier.
Link zur Entscheidung
Thüringer OLG, Beschluss vom 09.12.2008, 1 UF 162/08