1 Leitsatz
Der Verwalter hat eine Vertretungsmacht, bei Altverfahren ohne Beteiligung der Wohnungseigentümer für die Gemeinschaft der Wohnungseigentümer zu entscheiden, ob ein Altkläger weiterhin prozessführungsbefugt ist.
2 Normenkette
§ 9a Abs. 2 WEG
3 Das Problem
Ein AG verurteilt auf die Klage von Wohnungseigentümer K einen Wohnungseigentümer B, ein Abluftrohr, Glasschiebeelemente, eine Markise und ein Gartenhaus zu beseitigen. B sieht das nicht ein. Das Abluftrohr habe der Bauträger angebracht. Es beeinträchtige K außerdem nicht. Denn dessen Öffnung sei von außen kaum erkennbar. Es gebe auch keine Gerüche, die K beeinträchtigen würden. Auch in Bezug auf die Glasschiebeelemente gebe es keine optische Beeinträchtigung, da diese fast vollständig von einer Kirschlorbeerhecke verdeckt seien. Den Anbau der Markise habe ihm der Verwalter erlaubt. In Bezug auf das Gartenhaus handele K rechtsmissbräuchlich, da auch dieses aufgrund einer Buchenhecke "so gut wie nicht" zu sehen sei. Im Übrigen hätten die Wohnungseigentümer etwaige Beseitigungsansprüche durch einen Beschluss aus dem Jahr 2018 der Gemeinschaft der Wohnungseigentümer zugewiesen ("Vergemeinschaftung").
Im Verlauf des Berufungsverfahrens lädt das LG den Verwalter V bei. Dieser teilt im Mai 2021 mit, die Gemeinschaft der Wohnungseigentümer sei nicht damit einverstanden, dass K das Verfahren (weiter) führt.
4 Die Entscheidung
Die Berufung hat Erfolg! Wohnungseigentümer K sei nämlich nicht mehr prozessführungsbefugt. Zwar hätten die Wohnungseigentümer die gegen B gerichteten Beseitigungsansprüche im Jahre 2018 nicht – wie dieser behaupte – der Gemeinschaft der Wohnungseigentümer zugewiesen. Denn die Wohnungseigentümer hatten es nur abgelehnt, wegen der baulichen Veränderungen gegen B vorzugehen. Mit dieser Entscheidung hätten sie der Gemeinschaft der Wohnungseigentümer keine Aufgaben zugewiesen.
Die Prozessführungsbefugnis des K sei aber durch § 9a Abs. 2 WEG am 1.12.2020 (WEG-Reform) entfallen. Zwar könne ein Wohnungseigentümer nach BGH (Urteil v. 7.5.2021, V ZR 299/19) entsprechend § 48 Abs. 5 WEG Beseitigungsansprüche in Bezug auf das gemeinschaftliche Eigentum so lange verfolgen, bis dem Gericht eine schriftliche Äußerung des nach § 9b WEG vertretungsberechtigten Organs über einen entgegenstehenden Willen der Gemeinschaft der Wohnungseigentümer mitgeteilt werde. Eine solche Mitteilung liege aber durch die Erklärung des V vor. Seine Vertretungsmacht für die Gemeinschaft der Wohnungseigentümer sei nicht davon abhängig, dass die Wohnungseigentümer im Innenverhältnis diese Entscheidung getroffen haben. Im Übrigen habe sich V bei den Wohnungseigentümern erkundigt. Diese hätten mit Ausnahme eines Wohnungseigentümers, der sich einer Meinung enthalten habe, V mitgeteilt, dass sie mit dem weiteren Vorgehen des K nicht einverstanden seien.
5 Hinweis
Problemüberblick
Nach § 9a Abs. 2 WEG übt die Gemeinschaft der Wohnungseigentümer die sich aus dem gemeinschaftlichen Eigentum ergebenden Rechte sowie solche Rechte der Wohnungseigentümer aus, die eine einheitliche Rechtsverfolgung erfordern, und nimmt die entsprechenden Pflichten der Wohnungseigentümer wahr. Durch diese Regelung wird die Ausübungskompetenz der Gemeinschaft der Eigentümer auf sämtliche Ansprüche erweitert, die sich aus dem gemeinschaftlichen Eigentum ergeben. Dieser ausschließlichen Ausübungszuständigkeit der Gemeinschaft unterfallen insbesondere Ansprüche gegen einen Wohnungseigentümer auf Beseitigung und Unterlassung einer Störung des gemeinschaftlichen Eigentums. Davon umfasst sind auch Ansprüche auf Beseitigung baulicher Veränderungen des gemeinschaftlichen Eigentums und Wiederherstellung des vorherigen Zustands.
Übergangszeit
Wie in der vorstehenden Entscheidung (BGH, Urteil v. 7.5.2021, V ZR 299/19) berichtet, können die Wohnungseigentümer einen "Altkläger" ausbremsen. So war es im Fall. Das besondere Moment liegt darin, dass der Verwalter die Frage selbst entschieden hat – wenn auch nach einer Nachfrage bei den Wohnungseigentümern. Diesen Weg halte ich nicht für richtig und nicht für ordnungsmäßig. Nicht der Verwalter, sondern die Wohnungseigentümer sollten nach der Information durch einen Beschluss entscheiden, ob sie den klagenden Wohnungseigentümer gewähren lassen, ob die Gemeinschaft der Wohnungseigentümer gegen den Störer gerichtlich vorgehen soll oder ob man sich mit diesem außergerichtlich vergleicht und dem Kläger die Prozessführungsbefugnis entzieht.
Der Verwalter sollte für alle Entscheidungen Beschlussvorlagen entwickeln. Der Verwalter sollte aber keinen Rat geben, welchen Weg die Wohnungseigentümer gehen sollten. Ob die Gemeinschaft der Wohnungseigentümer die Bekämpfung der Störung in die Hand nehmen soll – dies legt das neue Recht mit vielen Argumenten nahe (ansonsten gäbe es § 9a Abs. 2 WEG nicht) – können nur die Wohnungseigentümer entscheiden. Sinnvoll ist hingegen eine anwaltliche Beratung. Diese darf der Verwalter nach § 27 Abs. 1 Nr. 1 WEG in der Regel organisieren. Entscheiden sich die Wohnungseigentümer für ein Vorgehen der Gemeinschaft der Wohnungs...